Die Gefährdungsbeurteilung: umfassend und Schritt für Schritt

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Was muss alles in eine Gefährdungsbeurteilung?
Was muss alles in eine Gefährdungsbeurteilung? (Bildquelle: ninus/iStock/Getty Images Plus)

Wer mit elektrischem Strom umgeht, muss besonders achtsam sein. Es liegt auf der Hand, dass Elektrofachkräfte daher die entsprechenden Gefährdungen und Schutzmaßnahmen kennen müssen. Doch mitunter wird übersehen: Im jeweiligen Arbeitsumfeld können auch noch ganz andere Faktoren eine Rolle spielen, die der Arbeitgeber bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigen muss.

Auch viele Faktoren der Arbeitsumgebung beeinflussen die Gesundheit und das Wohlbefinden, etwa Licht, Platz(mangel), die Raumtemperatur und die ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes. Daher gehört es ebenso zur Gefährdungsbeurteilung, den Blick durch die gesamte Arbeitsumgebung schweifen zu lassen, Messungen vorzunehmen und möglichst auch die Beschäftigten zu befragen: Wie geht es Ihnen in dieser Umgebung? Gibt es etwas, wodurch Sie sich beeinträchtigt fühlen? Zudem kann eine nicht sichere Arbeitsumgebung zusätzliche Unfallquellen bergen. Eine Gefährdungsbeurteilung muss daher auch z.B. mögliche Auslöser für Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle umfassen – schon ein im Weg herumliegendes Kabel kann dazu gehören.

Das gesamte Umfeld im Blick haben

Zu prüfen sind deshalb auch Faktoren wie (ausreichender) Platz, freie Verkehrswege, die Lichtverhältnisse und das Raumklima. So ist unter anderem zu kontrollieren, ob die Mindestbeleuchtungsstärken, Sollwerte für die Lufttemperatur und die Luftgeschwindigkeit eingehalten werden. Entsprechende Vorgaben sind in den jeweiligen Arbeitsstättenregeln (ASR) zu finden.

Psychische Belastungen berücksichtigen

Inzwischen sind auch mögliche psychische Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. Die 2016 neu gefasste Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) sieht es in § 3 ausdrücklich vor, das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in § 5 ebenfalls. Das bedeutet: Die Arbeitsumgebung ist auch hinsichtlich potenziell belastender Faktoren wie z.B. Stress, Termindruck, Überforderung, Monotonie, Mobbing und Gewalt zu prüfen. Auch beschäftigtenbezogene Gefährdungen wie Sucht oder individuelle psychische Probleme sind zu berücksichtigen.

Das TOP-Prinzip anwenden

Maßgeblich ist bei den Schutzmaßnahmen das „TOP“-Prinzip: Es haben stets technische Schutzmaßnahmen Vorrang vor organisatorischen Maßnahmen und diese wiederum vor personenbezogenen Maßnahmen. Häufig ist eine Kombination aus zwei oder allen drei Bereichen erforderlich und z.B. eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) ergänzend zu technischen und/oder organisatorischen Maßnahmen zu tragen.

Persönliche Schutzausrüstung (PSA)

Zu prüfen ist also auch, ob (und wenn ja, welche) PSA jeweils nötig ist und ob die Beschäftigten sie auch konsequent tragen – beziehungsweise, wenn sie sich weigern, welche Gründe dies haben könnte. Denn es könnte beispielsweise auch an schlecht sitzender oder ungeeigneter PSA, Allergien gegen Materialien, Unkenntnis der korrekten Nutzung und ähnlichen Faktoren liegen, die sich durch entsprechende Maßnahmen (Auswahl geeigneter PSA, Unterstützung beim Anpassen etc.) beseitigen lassen.

Die ASR V3 „Gefährdungsbeurteilung“

Seit Juli 2017 gibt es auch eine eigene Arbeitsstättenregel zu diesem Thema: Die ASR V3 „Gefährdungsbeurteilung“ schreibt nicht nur vor, wann und wie die Gefährdungsbeurteilung an sich durchzuführen ist, sondern auch, was bei der Dokumentation zu beachten und wann genau eine bereits erstellte Gefährdungsbeurteilung zu überprüfen ist.

Für die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung beschreibt die ASR V3 übersichtlich acht Prozessschritte:

  1. Wie wird eine Gefährdungsbeurteilung vorbereitet?
  2. Wie werden Gefährdungen fachkundig ermittelt?
  3. Wie sind Gefährdungen zu beurteilen?
  4. Welche Maßnahmen müssen festgelegt werden?
  5. Wie werden die festgelegten Maßnahmen umgesetzt?
  6. Wann und wie müssen die festgelegten Maßnahmen überprüft werden?
  7. Wie ist der gesamte Prozess lückenlos zu dokumentieren?
  8. Wie wird die Gefährdungsbeurteilung fortgeschrieben?

Details zu den einzelnen Punkten sind im jeweiligen Kapitel der ASR V3 zu finden.

Ein praxisnaher Anhang

Aufmerksamkeit verdient auch der Anhang der neuen technischen Regel. Er enthält Erläuterungen mit praxisnahen Beispielen zu den elf verschiedenen Gefährdungsfaktoren, die im Sinne der ArbStättV und dieser ASR bei der Beurteilung besonders im Fokus stehen sollten. Passend zur geänderten ArbStättV erhalten dabei unter anderem auch psychische Gefährdungen ihren Raum.

Die ASR V3 als PDF-Dokument gibt es zum Download auf der Homepage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): www.baua.de.

Eine Pflicht des Arbeitgebers

Die Gefährdungsbeurteilung ist Pflicht für jeden Arbeitgeber, und zwar unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten. So verlangen es das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und die DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“. Der Arbeitgeber kann die Gefährdungsbeurteilung selbst durchführen oder an andere fachkundige Personen delegieren, etwa seine Fachkraft für Arbeitssicherheit. Er ist jedoch letztlich für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und die Umsetzung ihrer Ergebnisse verantwortlich.

Häufigkeit und Umsetzung

Die Gefährdungsbeurteilung steht an, bevor erstmals Tätigkeiten erfolgen (Erstbeurteilung von Arbeitsplätzen). Außerdem ist sie zu wiederholen bei maßgeblichen Veränderungen im Betrieb, unter anderem der Einführung neuer Arbeitsverfahren, Veränderungen der Arbeitsorganisation, dem Einsatz anderer Arbeitsstoffe, neuer Geräte und Materialien, nach Störfällen und Havarien, Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten usw.

Der Spielraum für die Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes ist relativ groß. So ist dort nicht im Detail beschrieben, wie genau eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist. Das wäre wohl auch kaum möglich angesichts der Vielzahl von Branchen, Betrieben und Tätigkeiten, die doch alle ihre eigenen Gegebenheiten und Gefährdungen bergen.

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  • Autorin:

    Christine Lendt

    freie Journalistin

    Lendt, Christine

    Christine Lendt ist als freie Autorin und Journalistin tätig mit einem Schwerpunkt im Bereich Ausbildung, Beruf, Arbeitsschutz.

    www.recherche-text.de

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