Ergonomie am Arbeitsplatz

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Ergonomie umfasst mehr als die richtige Höhe des Bürostuhls
Ergonomie umfasst mehr als die richtige Höhe des Bürostuhls (Bildquelle: endopack/iStock/Getty Images Plus)

Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) zählen in Deutschland zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit. Doch die Bedeutung ergonomischer Aspekte für ein sicheres und gesundheitsgerechtes Arbeiten wird mancherorts immer noch unterschätzt. Wer sich bewusst macht, dass es bei Ergonomie um viel mehr geht als um Büromobiliar, kann sich und seinen Mitarbeitern das Arbeiten erleichtern.

Was bedeutet Ergonomie?

Der Begriff Ergonomie hat seinen Ursprung im Griechischen. „Ergon“ heißt Arbeit und „Nomos“ steht für das Gesetz, damit ist Ergonomie die Wissenschaft der Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Arbeit. Ergonomie betrifft die Bedingungen am Arbeitsplatz und wird zum Teil sehr konkret, etwa bei den im Arbeitsstättenrecht vorgeschriebenen Mindestmaßen wie Raumgrößen, Abstände oder Bewegungsfreiräume. Ziel solcher Vorgaben ist, menschengerechte Arbeitsplätze zu gestalten, ohne dass dies zulasten von Arbeitsleistung oder Effizienz geht.

Auch wenn wir bei Ergonomie sofort an den höhenverstellbaren Bürodrehstuhl denken, ist Ergonomie keine feste Eigenschaft eines Objekts wie dessen Material oder Farbe. Ergonomische Betrachtungen erfassen stets den Gesamtzusammenhang von Mensch und Arbeitsweise und fragen: Welche Person führt welche Tätigkeiten in welcher Position (sitzend, stehend, kniend usw.) aus und wo kommt es dabei zu unerwünschten und vermeidbaren Belastungen?

Die Arbeitsumgebung dem Menschen anpassen

Ergonomie umfasst letztlich die gesamte Arbeitsumgebung inklusive Ausrüstung, Werkzeugen und Maschinen sowie Arbeitsabläufen mit ihren jeweils erforderlichen Bewegungen und Körperhaltungen. Unter ergonomische Aspekte fällt z.B. auch,

  • wie notwendige Arbeitsmittel angeordnet und ob sie jederzeit schnell auffindbar sind, ob z.B. ein Schubladenauszug leicht zu erreichen und zu bedienen ist,
  • ob eine PSAgS gut passt, bequem zu tragen ist und das Arbeiten nicht mehr als unvermeidbar einschränkt,
  • ob der Not-Aus-Schalter einer Maschine, eines Förderbands, einer Hebebühne usw. jederzeit zugänglich ist,
  • ob Temperatur, Luftwechsel, Beleuchtung und Akustik des Arbeitsbereichs der Aufgabe angemessen sind und ein stressfreies Arbeiten ermöglichen,
  • ob Geräte und Maschine leicht bedienbar sind, auch für ältere oder körperlich schwächere Kollegen, für Frauen, für Linkshänder usw.,
  • ob Displays und Anzeigen, etwa von Mess-, Kalibrier- und Prüfgeräten, gut erkennbar und in den konkreten Arbeitssituationen stets leicht ablesbar sind.

Selbst eine Software – ob für die Elektroplanung oder für Sicherheitsunterweisungen – kann nach ergonomischen Grundsätzen wie intuitiver Bedienbarkeit und konsistenter Benutzerführung gestaltet sein oder nicht. Bei der Beschaffung von Arbeitsmitteln, Hard- oder Software sollte Ergonomie stets ein Auswahlkriterium sein.

Ergonomie als maßgeblicher Gesundheitsfaktor

Ergonomie steht selten im Fokus, bei den meisten Gefährdungsbeurteilungen geht es eher um die Elektrosicherheit, um Lärm, Gefahrstoffe oder Stäube. Doch Ergonomie kann zu Recht als eine der wesentlichsten Randbedingungen für ein gesundes und sicheres Arbeiten betrachtet werden. Denn wo es an Ergonomie mangelt, werden Mitarbeiter mehr als notwendig körperlich belastet. Rücken, Bandscheiben, Knie, Gelenke usw. verschleißen schneller, Ausfälle und Frühverrentungen nehmen zu.

Ergonomie im Arbeitsschutzrecht

Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass die Arbeitsstätte nach ergonomischen Anforderungen betrieben wird. Viele Details sind in den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) vorgegeben, z.B. der A1.2 zu Raumabmessungen, A3.4 zur Beleuchtung oder A3.7 zu Lärm. Dazu kommen unzählige Maßangaben, die standardisiert wurden. Dazu gehört z.B. die noch druckfrische DIN 33402-2:2020-12 „Ergonomie – Körpermaße des Menschen – Teil 2: Werte“ von Dezember 2020, eine Ergonomienorm, die anthropometrische Daten enthält. Das sind Angaben zu den durchschnittlichen Körpermaßen des Menschen, die u.a. als Grundlage dienen für Planung und Konstruktion von Büromöbeln, Fahrersitzen, Werkzeugen usw., aber auch für das Gestalten von Arbeitsplätzen.

Wie sieht ein ergonomisch günstiges Arbeiten aus?

Standardisierte Maße sind eine gute Orientierung beim Gestalten von Arbeitsplätzen. Doch man sollte sich darüber bewusst bleiben, dass es bei Ergonomie nicht allein um Zahlenwerte geht. Letztlich muss der Mensch, der betroffene Mitarbeiter, im Fokus stehen. Auch wenn jemand nicht den Durchschnittsmaßen entspricht, gilt: Ein ergonomisch durchdachter Arbeitsplatz

  • verringert die Belastungen für Muskulatur, Sehnen, Bänder und Gelenke,
  • ermöglicht ein ermüdungsarmes Arbeiten und
  • beugt Fehlbelastungen und dadurch verursachten Beschwerden und Haltungsschäden vor.

Ergonomie am Arbeitsplatz umsetzen

Um in seinem Betrieb ergonomische Arbeitsweisen zu fördern, sollte man auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Zum einen sollte die Arbeitsstätte allen baulich-technischen Mindestanforderungen der Technischen Regeln für Arbeitsstätten entsprechen, z.B. an die Raumhöhe oder die Flächenmaße für sitzende oder stehende Tätigkeiten. Bei Neu- oder Umbauten sind von Anfang an die späteren ergonomischen Anforderungen in die Planungen einzubeziehen.

Der zweite wichtige Punkt ist, die Arbeitsstätte konsequent daraufhin zu checken, wo welche ergonomisch relevanten Hilfsmittel genutzt werden könnten: Zwar sieht man immer öfter höhenverstellbare Tische, z.B. an Montage- oder Messplätzen, aber vielerorts sind noch längst nicht alle Chancen genutzt. Weitere ergonomisch relevante Hilfsmittel sind z.B.:

  • rollbare Schubladenschränke für Instandhaltungsarbeiten
  • Halterungen für Werkzeuge oder Geräte, etwa um das Display eines Tablets stets in Augenhöhe zu haben
  • Transportmittel für schwere Lasten (Sackkarren, Gabelhubwagen, Rollwagen usw.) sowie Hebehilfen wie Balancer mit Federzügen u.a.
  • schwingungsgedämpfte Sitze für Fahrzeuge
  • Bodenmatten für harte oder fußkalte Untergründe
  • Deckenabsorber oder Schallschutzwände, die für eine ruhigere Arbeitsatmosphäre sorgen und bei lärmempfindlichen Personen den Stress reduzieren

Dazu kommen neuere Entwicklungen wie Exoskelette, die Rücken, Arme und Schultern entlasten, oder Datenbrillen. Diese sprach- oder gestengesteuerten HMD (Head Mounted Displays) erlauben z.B. bei Prüf- und Wartungsaufgaben ein beidhändiges Arbeiten, weil Prüflisten oder Handbücher direkt im Sichtfeld eingeblendet werden.

Der dritte Ansatzpunkt ist das eigene Verhalten. In Sicherheitsunterweisungen sollte nicht nur gelernt werden, wie man ergonomisch korrekt Lasten hebt und trägt, sondern auch, welche Bewegungsabläufe ergonomisch günstiger sind als andere. So ist z.B. bei rollenden Lasten ein Schieben meist besser als ein Ziehen. Jeder sollte seinen Arbeitsbereich so einrichten, dass alle Maße wie Tischhöhe, Stehfläche, Greifraum der Hände, Bewegungsfreiraum für die Füße usw. ein anstrengungsarmes Arbeiten erlauben. Monotone Tätigkeiten mit gleichförmig wiederholten Bewegungen sollte man möglichst mit anderen Aufgaben abwechseln.

Das Arbeiten in ergonomisch ungünstigen Zwangshaltungen (im Knien, in der Hocke, über Kopf, gebückt usw.) ist, etwa bei Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten, nicht immer ganz zu vermeiden. Doch auch hier können geeignete Hilfsmittel genutzt werden wie Stielverlängerungen, Knieschoner u.a., um die körperlichen Belastungen so gering wie möglich zu halten.

Ein ergonomisch hochwertiger Arbeitsplatz rechnet sich

Belastungs- und ermüdungsarmes Arbeiten kommt nicht nur der Gesundheit, der Motivation und der Leistungsfähigkeit zugute. Ergonomisch hochwertige Arbeitsplätze dienen auch der Arbeitssicherheit und tragen dazu bei, Unfälle und Verletzungen zu vermeiden. Da all diese Effekte auch die Produktivität erhöhten und Kosten senken, können sich Investitionen in ergonomische Verbesserungen schnell amortisieren.

Es muss nicht immer kostspieliges Mobiliar sein. Wo der Bedarf besteht, sind höhenverstellbare Stehschreibtische, Stehhilfen oder andere Anschaffungen sicher eine gute Wahl. Doch Ergonomie beginnt bereits bei kleinen Verbesserungen. Wer viel am Rechner tippt, sollte mal ergonomische Tastaturen und Handgelenkauflagen (Gel Pads) ausprobieren. Auch für die Standard-PC-Maus gibt es jede Menge Alternativen, bei denen die Hand auch bei Dauergebrauch weniger ermüdet. Vorlagenhalter für Dokumente, Notebookständer, schwenkbare Monitore usw. können das Arbeiten deutlich erleichtern – nicht nur im Büro, auch in der Werkstatt oder im Elektroniklabor.

Müssen Sie und Ihre Kollegen sich an die Arbeit anpassen oder nutzt Ihr Betrieb alle Möglichkeiten, die Arbeitsumgebung, Arbeitsmittel und Arbeitsabläufe an die Eigenheiten und Anforderungen seiner Mitarbeiter anzupassen? Diese Frage sollte man sich ab und zu stellen. Und nicht erst dann, wenn es zu beruflich bedingten Gesundheitsproblemen kommt, denn das Vorbeugen beginnt stets jetzt.

  • Autor:

    Dr. Friedhelm Kring

    freier Lektor und Redakteur

    Kring, Friedhelm

    Dr. Friedhelm Kring ist freier Lektor, Redakteur und Fachjournalist mit den Schwerpunkten Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz.

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