Microgrids: Planung und Errichtung in Unternehmen
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Deutschland befindet sich in einer Krise der Stromversorgung: Der Ausbau des 5G-Netzes, die alltägliche Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) und die fortschreitende Digitalisierung führen zu einem so enormen Anstieg des Stromverbrauchs, dass derzeit nicht ganz klar ist, wie der Bedarf sich künftig decken lässt. Wenn Microgrids wirklich zusätzlichen Strom produzieren und die Bereitstellung nicht nur verschieben, könnten sie künftig ein Teil der Lösung des Stromproblems werden.
Microgrids: Einsatzbereiche
Rechenzentren gehören zu den stromhungrigsten Unternehmen. „Auf den Informations- und Kommunikationstechnologiesektor (IKT-Sektor) entfallen 5 bis 9 % des weltweiten Stromverbrauchs und mehr als 2 % der weltweiten Treibhausgasemissionen. Allein in der Europäischen Union belief sich der Energieverbrauch der Rechenzentren im Jahr 2018 auf 76,8 TWh, was rund 2,7 % des Strombedarfs in der EU entsprach. Laut Prognosen dürfte der Europäischen Kommission zufolge der Energieverbrauch der Rechenzentren bis 2030 auf 98,5 TWh ansteigen, somit um 28 %“, stellt etwa das österreichische Umweltministerium fest. Würden Rechenzentren zumindest einen Teil des benötigten Stroms selbst erzeugen und, falls erforderlich, über Microgrids verteilen, könnten sie das öffentliche Stromnetz stark entlasten.
Längst nutzen ohnehin nicht mehr nur Konzerne oder Kommunen Mikronetze. Auch für Mittelständler kann es sinnvoll sein, eine eigene Stromversorgung zu implementieren. Entscheidend ist die Fähigkeit von Microgrids, abgekoppelt vom öffentlichen Stromnetz zu funktionieren. Das hilft nicht nur, längere Stromausfälle bei der öffentlichen Versorgung zu überbrücken. Sollte es tatsächlich zu einem Blackout kommen, wären schwarzstartfähige Stromerzeuger wie u.a. die Microgrids unverzichtbar, um die allgemeine Versorgung Stück für Stück wiederaufzubauen.
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Stromausfälle sind eine sehr reale Gefahr
Im Rahmen der Energiewende soll das deutsche Stromnetz bis zum Jahr 2050 zu 80 % aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Dafür muss die zentralisierte und hierarchische Netzstruktur nach dem Top-down-Prinzip von Grund auf umgebaut werden. Im Verlauf der Restrukturierung kommt es bereits heute häufiger zu Frequenzschwankungen, die jederzeit zu größeren Stromausfällen führen können.
Auch die Digitalisierung mit ihrem erhöhten Strombedarf bringt das Stromnetz immer wieder an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Dass die durchschnittliche Nichtverfügbarkeit von Elektrizität in Deutschland im Jahr 2022 bei 12,2 Minuten je Letztverbraucher lag, ist keine so gute Nachricht, wie man glauben könnte. Denn dabei werden lediglich Versorgungsunterbrechungen berücksichtigt, die länger als drei Minuten dauern.
Auch in einem stabilen Stromnetz kommt es aber immer wieder zu extrem kurzzeitigen Unregelmäßigkeiten in der Versorgung mit Spannungsabfällen oder sogenannten Peaks (Spannungsspitzen). Für das Jahr 2022 haben 855 Netzbetreiber der Bundesnetzagentur insgesamt 157.245 solcher Versorgungsunterbrechungen in der Nieder- und Mittelspannung übermittelt. Weil viele technische Systeme wie Großrechner, Server, Telefonanlagen und medizinische Geräte, aber auch automatisierte Anlagen hochsensibel auf solche Spannungsschwankungen reagieren, schließt man sie normalerweise an Anlagen zur unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) an. Außerdem halten die meisten Unternehmen heute eine Notstromversorgung vor. Aber es gibt auch noch weitere Netzprobleme.
Unregelmäßigkeiten in der Stromversorgung: Brownout und Blackout
Kommt es im Stromnetz zu einer geringeren Netzspannung als normal, sorgt dies bei Lampen für flackerndes oder gedimmtes Licht, das eine bräunlich warme Farbe hat. Deshalb bezeichnet man diesen Zustand der Spannungsreduktion im Netz als Brownout. Man unterscheidet grundsätzlich den kontrollierten und den unkontrollierten Brownout.
- Beim kontrollierten Brownout nehmen die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) gezielt große Stromverbraucher oder ganze Stadtviertel vom Netz, um einen drohenden Stromausfall lokal zu begrenzen und einen weitreichenden Systemzusammenbruch zu verhindern. Ein solcher gezielter Lastabwurf ist die letztmögliche Maßnahme zur Systemstabilisierung bei einer Überlastung des Stromnetzes.
- Unter einem unkontrollierten Brownout versteht man einen kurzzeitigen Stromausfall des Hochspannungsnetzes, der weder geplant noch vorhersehbar ist. Als Ursachen kommen technische Störungen, ungünstige Wetterverhältnisse oder eine zu geringe Regelleistung infrage.
Als Blackout bezeichnet man einen unkontrollierten Zusammenbruch des Stromnetzes, der zu einem großflächigen Ausfall der Stromversorgung für unbestimmte Zeit − Tage, Wochen oder Monate − führt. Diese Unregelmäßigkeiten in der Stromversorgung bzw. Stromausfälle könnten durch den Einsatz von Microgrids − zumindest zeitweise − überbrückt werden.
Hilfe bei der Dezentralisierung der Stromversorgung
Microgrids könnten auch die Dezentralisierung der Stromversorgung vorantreiben. Einer der großen Nachteile unseres zentralisierten Stromnetzes im Zeitalter der Cyberkriminalität ist bekanntlich die Tatsache, dass ein einziger erfolgreicher Angriff weitreichende Folgen haben kann. In einem Umfeld kleinerer autonomer Netze wären potenzielle Schäden geringer und die gegenseitige Hilfe bei Versorgungsunterbrechungen erleichtert. Dazu können auch private Netze beitragen.
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Vorteil von Microgrids: Kombination der Energieformen
Der Einsatz von Microgrids könnte gerade in Deutschland sinnvoll sein und sich rechnen. Besonders interessant ist es, verschiedene Energieformen kombiniert zu betrachten, etwa bei der Strom- und Wärmeversorgung. Als Erzeuger kommen u.a. Blockheizkraftwerke, Photovoltaikanlagen oder kleine Windräder infrage. Batteriespeicher können den nicht selbst benötigten Strom zumindest zwischenspeichern, sodass er u.a. für das bidirektionale Laden des betrieblichen Fuhrparks vom Flurförderzeug bis zum Firmenwagen genutzt werden kann. Je nach Standort können Unternehmen auch Ladestationen für die Öffentlichkeit anbieten.
Gewährleistung der Netzstabilität
Noch sind Microgrids meist kleinere elektrische Netze und benötigen deshalb grundsätzlich − in Relation zu großen Netzen – eine höhere Regelleistung, um das Netz stabil zu halten. Die „echten“ Inselnetze der Vergangenheit lösten dies häufig dadurch, dass sie Assets einsetzten, die nacheinander aufgeschaltet wurden. Leider sind solche Netze meist nicht in der Lage, die ideale Netzfrequenz zu gewährleisten.
Moderne Microgrids werden heute primär dafür eingesetzt, erneuerbare Energieträger in Strom zu verwandeln. Weil sie oft ganze Unternehmensnetze oder Rechenzentren mit Strom versorgen bzw. die Versorgung bei Netzausfällen überbrücken sollen, ist eine hohe Spannungsqualität unverzichtbar. Da Photovoltaik und Windkraftwerke stark schwankende Strommengen liefern, benötigen moderne Microgrids für einen stabilen Betrieb in der Regel Energiespeicher. Heute setzt man dabei meist auf Batterietechnologie. Während derzeit noch Lithium-Ionen-Speicher im Fokus stehen, dürften Natrium-Ionen-Akkus bald überall dort an Bedeutung gewinnen, wo Größe und Gewicht des Batteriespeichers keine Rolle spielen.
Planung von Microgrids − was Dienstleister bieten sollten
Die Planung und Errichtung von Microgrids lässt sich grundsätzlich mit der Planung von Industrieanlagen oder Energieerzeugungsanlagen vergleichen. Das setzt umfangreiches Know-how voraus, sodass in der Regel Dienstleister die erforderliche Planung bis zur Inbetriebnahme übernehmen. Bei den Dienstleistern für Microgrid-Technologien können grundsätzlich zwei Arten von Angeboten unterschieden werden:
- Ein Microgrid wird exklusiv für ein Unternehmen, ein Rechenzentrum oder eine Kommune errichtet.
- Beim „Smart Microgrid as a Service“ (SMaaS) bietet ein Energiedienstleister das Know-how für Microgrid-Lösungen, die die Kunden mit überschaubarem (IT-)technischen Aufwand selbst realisieren können.
- Kunden sollten zumindest einen groben Überblick haben, welche Angaben bzw. Leistungen sie von ihrem Anbieter erwarten können:
- Wirtschaftlichkeitsrechnung (Kosten, ROI)
- Ermittlung des speziellen Energiebedarfs (Lastprofilkartierung, ggf. Erweiterungsmöglichkeit)
- Bestimmung der nutzbaren Energiequellen (Wind, Wasserkraft, Biogas, Sonne, Diesel etc.)
- detaillierte Planung der elektrischen Auslegung des Microgrids
- Wahl der geeigneten Komponenten, wie z.B. Generatoren, Wechselrichter, Batterien, Transformatoren, Schalter, Relais und Zähler. Kriterien dafür sind u.a.:
- Kompatibilität der Komponenten mit Komponentenanderer Hersteller etc.
- Lieferfähigkeit der Komponenten (Obsoleszenzmanagement!)
- Effizienz und Sicherheit
- Eignung für den Einsatz unter Umweltfaktoren wie Feuchtigkeit, Hitze, Kälte
- Definition des Schutzkonzepts
- Wahl von Schutzgeräten zur Absicherung gegen Überstrom, Überspannung, Kurzschluss u.Ä.
- Definition einer Steuerungsstrategie für das Microgrid
- Wahl von Überwachungsgeräten wie Controller, Konverter, intelligente Zähler und Kommunikationsgeräte
- Wahl der Software für die Steuerung des Microgrids
- Definition von Betriebszielen, wie z.B. Effizienz, Zuverlässigkeit, Sicherheit oder Nachhaltigkeit
- Testen und Validieren des Systems vor der Errichtung
(Wird ein digitaler Zwilling (Digital Twin) für die Planung eingesetzt, lässt sich besonders gut kontrollieren, ob das System die vorab definierten Anforderungen erfüllt.) - Planung der regelmäßigen Wartung und Aktualisierung des Microgrids über die geplante Nutzungszeit
Auch die Beschaffung von Komponenten und Software, die Errichtung und Inbetriebnahme sowie das weitere Projektmanagement übernimmt in der Regel der Dienstleister.
Vorgaben für das sichere Management und die Cybersecurity
Herzstück eines Microgrids sind − neben Erzeugern, Speichern und Verbrauchern − elektronische Komponenten, z.B. ein bidirektionales Leitungs- und Kommunikationsnetz, spezielle Software sowie Sensoren und Aktoren zur Steuerung der Energieflüsse.
Die Normenreihe IEC 61850:2024 SER „Communication networks and systems for power utility automation“ der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC) legt anbieterunabhängig fest, wie Systemkomponenten in Schaltanlagen kommunizieren sollen:
- Sie macht Vorgaben für Schaltanlagen.
- Sie informiert über Funktionen von und Anforderungen an Komponenten.
- Sie formuliert Regeln für den Informationsaustausch zur Überwachung, Steuerung und Messung sowie für den Schutz von Smart Grid und Microgrid.
- Sie empfiehlt digitale Schnittstellen für Primärdaten.
- Sie liefert eine Konfigurationssprache.
Die Normenreihe IEC 61850 legt dabei ein Modell sowie die Kommunikationsdienste für die Interaktion mit und zwischen Elementen einer Schaltanlage (z.B. Einspeisung, Trennschalter, Schutzgeräte) fest („Architektur“). Für die technische Planung (Engineering) definiert sie eine Beschreibungssprache, die System Configuration Language (SCL). Werden alle Vorgaben eingehalten, ist eine anbieterunabhängige Kompatibilität zwischen Komponenten und Geräten verschiedener Hersteller gewährleistet.
Ausführliche Informationen zu allen Teilen der IEC 61850 finden Sie unter http://webstore.iec.ch/. In Deutschland ist die IEC 61850 bislang teilweise als DIN EN IEC 61850 veröffentlicht. Die DIN IEC/TS 61850-2 (VDE V 0160-850-2):2022-12 „Kommunikationsnetze und Systeme für die Automatisierung in der elektrischen Energieversorgung“ enthält das Wörterverzeichnis für die Normenreihe.
In der Normenreihe IEC 62351:2024 SER „Power systems management and associated information exchange − Data and communications security“ sind die derzeit definierten Mindestanforderungen an die sichere Datenübertragung und Datenverarbeitung in Energiemanagementsystemen formuliert.
Virtuelle Mikronetze − VMGs
Je nach Standort und Umfeld kann es sinnvoll sein, sich mithilfe moderner IKT-Technologien mit anderen Mikronetzen bzw. Energieerzeugern zu einem virtuellen Mikronetz (VMG) zusammenzuschließen.
Die Vorteile dabei sind:
- VMGs können prinzipiell mit vielen unterschiedlichen Energiequellen wie Sonnenenergie, Wind- oder Wasserkraft arbeiten.
- Mehr Teilnehmer machen es möglich, Energieproduktion und Energieverbrauch besser aufeinander abzustimmen, etwa indem Aufgaben mit hohem Strombedarf auf Zeiten mit hohem Angebot gelegt werden.
- Ein Energiemanagementsystem für alle Teilnehmer senkt die Kosten für den Einzelnen und macht es möglich, detailreicher und umfassender zu planen.
- Temporäre Unterschiede bei der Stromerzeugung können dank unterschiedlicher Stromquellen besser ausgeglichen werden.
- Als Verbund können VMGs ggf. direkt am Strommarkt teilnehmen.
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