Microgrids: mehr Sicherheit für die Stromversorgung in Deutschland?

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Berghütte in abgelegener Gegend
In abgelegenen Gegenden sichern Microgrids die Stromversorgung. © Hans Verburg/iStock/Getty Images Plus

Die Energiewende, aber auch die Digitalisierung mit ihrem erhöhten Strombedarf bringen das zentralisierte Stromnetz in Deutschland immer häufiger an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Viele Unternehmen, Gemeinden und Institutionen möchten deshalb ihre Abhängigkeit von der öffentlichen Stromversorgung reduzieren. Microgrids, also kleine dezentrale und autarke Stromversorgungssysteme, können dazu beitragen.

Das deutsche Stromnetz

Übertragungs- und Verteilnetz

Das Stromnetz in Deutschland arbeitet auf vier Spannungsebenen. Über große Transformatoren sind Übertragungsnetz und Verteilnetz nach dem Top-down-Prinzip miteinander verbunden. Das deutsche Stromnetz ist also ursprünglich als „Einbahnstraße“ ausgelegt. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (Amprion, 50 Hertz, TenneT, Transnet BW) leiten den in direkt angeschlossenen Kraftwerken erzeugten Strom (Höchstspannung von 220 und 380 kV) landesweit an die Verteilnetzbetreiber weiter, die nahe an den Verbrauchsschwerpunkten liegen. Das Übertragungsnetz ist außerdem an das internationale Verbundnetz angeschlossen.

Der Weg zum Verbraucher

Auf der darunterliegenden Ebene leitet das mit 110 kV betriebene Verteilnetz (Hochspannung) den elektrischen Strom zu regionalen Umspannwerken und direkt zu einigen Großunternehmen. Auf der Mittelspannungsebene werden dann regionale und lokale Energieversorger sowie weitere industrielle Abnehmer beliefert. Regionale Netze und Stadtnetze schließlich versorgen private Haushalte und andere Anwohner mit Niederspannung.

Problem: kleine Einspeiser

Viele dezentrale Anlagen zur Stromerzeugung, -speicherung und -nutzung produzieren – mit Ausnahme von sehr großen Windkraftanlagen – zu wenig Strom, um ihn direkt ins Übertragungsnetz einzuspeisen. Deshalb geben die „kleinen Erneuerbaren“ ihren Strom direkt an die Verteilnetze ab – wofür diese aber nicht ausgelegt sind. Normalerweise verteilen sie lediglich den Strom aus dem Übertragungsnetz weiter. Deshalb destabilisieren die kleinen Einspeisungen das gesamte Stromnetz.

Übertragungsnetz muss eingreifen

Das Übertragungsnetz ist weiterhin für die Einhaltung des Spannungs- und Frequenzbands im gesamten Netz verantwortlich und muss eingreifen, wenn die Gefahr besteht, dass die Netzfrequenz von 50 Hz nicht stabil gehalten werden kann. Dies ist heute wegen steigender Netzrückwirkungen der Verbraucher, der Volatilität der Einspeisungen und der stark steigenden Blindleistungslast im Netz weitaus häufiger erforderlich als noch vor Jahren oder Jahrzehnten.

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Steigender Strombedarf – Gefahr von Stromausfällen

Künstliche Intelligenz (KI), High Performance Computing und die digitale Transformation sorgen dafür, dass der Strombedarf in Deutschland und ganz Europa in naher Zukunft immer stärker steigen wird. Der Ausbau an Erzeugungsanlagen für Strom aus erneuerbaren Quellen kann diesen Bedarf aus mehreren Gründen nicht vollständig decken:

  1. Zwar ist die Erzeugung von Strom aus den sog. erneuerbaren Quellen grundsätzlich volatil, Überschüsse aber können nicht in nennenswertem Umfang gespeichert werden.
  2. Der Strom aus erneuerbaren Energien kann häufig nicht auf Übertragungsnetzebene eingespeist werden, sondern muss von den Verteilnetzbetreibern aufgenommen und weitergeleitet werden. Dieser Prozess destabilisiert das gesamte Netz.
  3. Der Ausbau der HGÜ-Leitungen (HGÜ = Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) zum wirtschaftlich günstigen Transport von DC stockt, sodass gerade große Anlagen wie Windkraft-Offshore-Anlagen bei zu hoher Stromproduktion zu enormen Kosten abgeregelt werden müssen.

Zudem warnen Experten, dass die Wahrscheinlichkeit eines größeren Stromausfalls in den letzten 20 Jahren um mehr als zwei Drittel gestiegen ist. Insbesondere industrielle Prozesse und Rechenzentren inklusive ihrer Schutzsysteme zur Cybersicherheit aber sind immer stärker auf eine 24/7-sichere Stromversorgung angewiesen.

Umdenken ist nötig

Dass die derzeitige zentralisierte Top-down-Struktur des Stromnetzes verändert werden muss, ist wohl unstrittig. Doch bis die gewünschte, stärker dezentrale Versorgung realisiert werden kann, wird wohl noch geraume Zeit vergehen. In vielen Regionen wird der Ausbau der dringend erforderlichen HGÜs noch immer von der Politik und den Bürgern blockiert.

Stromkunden sollten deshalb sowohl für Strommangellagen wie für Stromausfälle gerüstet sein. Die steigende Zahl der Cyberattacken auf Energieversorger erhöht das Risiko für Versorgungsengpässe ebenfalls. Viele Unternehmen und Gemeinden realisieren oder planen deshalb lokale Microgrids und erzeugen ihren Strom zumindest teilweise selbst.

Was ist was? – Inselnetz, Microgrid, Mikronetz und Smart Grid

Im Normalfall erfolgt die Stromversorgung in Deutschland zentral über das hierarchisch aufgebaute deutsche Stromnetz, das wiederum mit den Stromnetzen in Europa verknüpft ist.

Inselnetz

Lange gab es außerdem nur wenige lokal abgegrenzte Stromnetze, die ein räumlich enges Gebiet versorgten und keinen direkten elektrischen Anschluss an andere Stromnetze hatten. Mit dem Begriff Inselnetz ist zugleich gesagt, wo und warum solche lokalen Netze sinnvoll waren – in abgelegenen Regionen oder tatsächlich auf Inseln, wo der Anschluss an das allgemeine Stromnetz lange sehr aufwendig war.

Microgrid

Seit einigen Jahren wird eine andere Variante des Inselnetzes viel diskutiert, das sogenannte Microgrid. Zwar bedeutet Microgrid auf Deutsch ebenfalls Inselnetz, gemeint aber ist bei diesem Teilnetztyp etwas anderes: Ein Microgrid ist ein lokales intelligentes Stromnetz, oft als Zusammenschluss von Stromerzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft oder Blockheizkraftwerken sowie Energiespeichern aufgebaut. Die einzelnen Komponenten sind in der Regel per Software und über ein bidirektionales Leitungs- und Kommunikationsnetz mit lokalen Verbrauchern verbunden. Grundsätzlich können Microgrids auf unterschiedlichen Energiequellen und Technologien basieren. Alternativ wird im Deutschen auch der Begriff Mikronetz verwendet.

Smart Grid

Ein sog. Smart Grid dagegen bezeichnet ein intelligentes Stromnetz der Netzbetreiber, das zur Verbesserung der Netzstabilität betrieben wird. Solche Systeme laufen im Regelbetrieb koordiniert mit dem Verbundnetz, können bei Bedarf aber getrennt betrieben werden, weil sie inselfähig sind. Das gilt vor allem in Strommangellagen, dem sogenannten Brownout, wird aber auch für den Fall eines Blackouts diskutiert. Dann könnte die Schwarzstartfähigkeit solcher Smart Grids den Wiederaufbau der Stromversorgung beschleunigen bzw. erst ermöglichen.

Wichtig: In der Praxis werden die hier definierten Begriffe nicht immer so scharf abgegrenzt verwendet. Deshalb benötigt man manchmal den Kontext, um die tatsächlich gemeinte Bedeutung zu verstehen.

Microgrid-Varianten – netzgebunden oder netzunabhängig

Grundsätzlich unterscheidet man Microgrids, die netzunabhängig oder netzgebunden sind:

  • Netzunabhängige Anlagen („off-grid“) sind häufig in abgelegenen Gebieten platziert, die nicht an das Versorgungsnetz angeschlossen sind. Berghütten, aber auch Bergwerke, abgelegene Industriestandorte und Militärstützpunkte werden häufig off-grid betrieben. Vor der Verwendung von Tiefseekabeln wurden oft ganze Inseln mit Microgrids erschlossen.
  • Netzgekoppelte Anlagen („on-grid“) erhöhen die Versorgungssicherheit der jeweiligen Betreiber. Rechenzentren und Produktionsanlagen, aber auch Universitäten, Stadtteile oder Dörfer bauen dazu eigene Erzeugungsanlagen wie Solaranlagen oder Kleinwindkraftanlagen. Fällt mehr Strom an, als die Betreiber benötigen, kann dieser gegen eine Einspeisevergütung ins lokale Stromnetz eingespeist werden. Daneben ist es aber auch möglich, beim Versorgungsnetz abschaltbare Lasten anzumelden. Das kann zusätzlich die Kosten senken.

Leistung von Microgrids

Die Leistung von Microgrids kann je nach Größe, Art der Last und Funktion und Einsatzbereich (z.B. Kommunen, Industrie/Gewerbe/Rechenzentren, private Betreiber) von 100 Kilowatt (kW) bis zu mehreren Megawatt (MW) variieren.
Hybride Mikronetze nutzen sowohl Energie aus erneuerbaren Quellen wie Windkraft oder Photovoltaikanlagen als auch konventionelle Energieerzeuger wie Diesel- oder Gasmotoren.

Einsatzbereiche von Microgrids

In ländlichen Regionen werden individuelle Inselanlagen − „eine Anlage, ein Betreiber/Verbraucher“ − inzwischen immer häufiger von Kollektivanlagen abgelöst. Solche Mikronetze basieren auf individueller, dezentraler Erzeugung und gemeinsamer Nutzung der intelligenten Steuerung von Speicherung und Verteilung.
Auch städtische Multienergiesysteme, die Strom, Wärme und Kälte für Gebäude sowie für kommunale und industrielle Anwendungen bereitstellen, können per Energiemanagement und Monitoring sehr effizient arbeiten und zusätzlich die überregionale Infrastruktur entlasten. So können sie die Systemautonomie für einzelne Gebäude, Siedlungen, Energiegemeinschaften, Subnetze und Regionen erhöhen. Gebäudemanagementsysteme fungieren als Schnittstelle zwischen Gebäude und Grid sowie dem Energieversorger. Die Teilnehmer profitieren häufig von niedrigeren Stromkosten.

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So funktionieren Microgrids

Grundsätzlich funktionieren Microgrids sowohl mit Wechselstrom (AC) als auch mit Gleichstrom (DC). Lokale Gleichstrom-Microgrids im Niederspannungsbereich, die mit Erzeugungssystemen aus erneuerbaren Energien wie Photovoltaik oder Windkraft arbeiten, sind unter Umständen besonders effizient, weil die mehrfache Umwandlung von Gleich- in Wechselstrom und wieder zu Gleichstrom entfällt. Sie können mit dem erzeugten Gleichstrom direkt Verbraucher versorgen wie

  • Batteriespeicher,
  • Wasserstoffbrennstoffzellen,
  • LED-Beleuchtungen,
  • Computing oder
  • Verbraucherelektronik.

Parallel- oder Inselbetrieb

Microgrids können je nach Anforderung parallel zu einem Versorgungsnetz betrieben und im Notfall auf Inselbetrieb umgeschaltet werden. Sehr kleine Netze lassen sich bei Bedarf auch per Generator unterstützen. Im „Eigenbau“ lassen Microgrids sich höchstens im Ausnahmefall errichten, denn die Komplexität von Systemen nach dem Stand der Technik ist sehr hoch.

Cybersicherheit ist auch bei Microgrids ein Dauerthema

Die Cybersicherheit ist ein wichtiger Aspekt der Energiesicherheit und -resilienz, jedoch durch häufige gezielte Cyberangriffe auf Energieversorger grundsätzlich gefährdet. Die Internationale Energieagentur (IEA) definiert Energiesicherheit als „die ununterbrochene Verfügbarkeit von Energiequellen zu einem erschwinglichen Preis“.

Als dezentrale Netze können Microgrids die Energieversorgung zumindest teilweise absichern, sofern sie selbst ihre Maßnahmen zur Cybersicherheit regelmäßig nach dem Stand der Technik anpassen.

Die internationale Normenreihe IEC 62351:2024 SER „Power systems management and associated information exchange − Data and communications security“ beschreibt Mindestanforderungen an die sichere Datenübertragung und Datenverarbeitung in Energiemanagementsystemen. Dazu formuliert sie Maßnahmen, mit denen die Prozesskommunikation zwischen Leit- und Fernwirktechnik gegen Cyberangriffe abgesichert werden kann und mithilfe derer die vier Grundforderungen für sichere Datenkommunikation und -verarbeitung erfüllt werden können:

  • Vertraulichkeit
  • Datenintegrität
  • Authentifizierung
  • Unleugbarkeit

Warum Microgrids gerade jetzt interessant werden

Das Konzept des Microgrids entstand vor rund 30 Jahren in den USA und umfasste damals kleinere elektrische Erzeugungsanlagen. Im Zuge der Energiewende und wegen der besseren Verfügbarkeit von Lösungen zur lokalen Energieversorgung inklusive der zugehörigen Steuer- und Speichertechnologien ist das Interesse an Microgrids und Smart Grids auch in Europa gestiegen – sowohl für netzunabhängige als auch für netzgebundene Varianten.

In Deutschland ist die bisherige zentralisierte Struktur des Stromnetzes noch nicht ausreichend an die Einspeisung und den Weitertransport von volatil produziertem Strom aus Anlagen erneuerbarer Energien angepasst. Die veränderte geopolitische Lage mit dem Wegfall günstigen russischen Gases und klimatische Extremereignisse schaffen zusätzliche Probleme, zu deren Lösung Microgrids per Netzstabilisierung, Systemresilienz und Schwarzstartfähigkeit beitragen können.

  • Autor:

    Sabine Kurz

    freie Journalistin, Texterin, Buchautorin

    Sabine Kurz

    Nach einem Psychologiestudium und Stationen als festangestellte Redakteurin ist Sabine Kurz seit langem als freie Journalistin, Texterin und Buchautorin erfolgreich.

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