Elektrische Anlagen in Sonderbauten

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Versammlungsstätte für mehr als 200 Personen
Versammlungsstätte für mehr als 200 Personen (Bildquelle: Milkos/iStock/Getty Images)

Immer wieder schockieren Presseberichte über Verletzte bzw. Tote aufgrund von Gebäudeeinstürzen oder Bränden. Meist beziehen sich diese Berichte auf Gebäude im Ausland, wie z.B. auf den Einsturz eines achtstöckigen Fabrikgebäudes in Bangladesch im Jahr 2013. Aber auch im Inland gibt es Gebäude mit Baumängeln bzw. baulichen Sicherheitsmängeln. Eines der bekanntesten Beispiele ist zwischenzeitlich der Flughafen Berlin Brandenburg, dessen Eröffnung immer wieder verschoben werden musste.

Schutzziele der Bauordnung

Damit dies die Ausnahme bleibt, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland in den Bundesländern u.a. Bauordnungen. Darin sind allgemeine Anforderungen (grundliegende Schutzziele) für bauliche Anlagen definiert. Diese Schutzziele dienen der Einhaltung der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung. Besondere Beachtung finden dabei Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen.

Bauordnung am Beispiel der BauO NRW

Da Baurecht unter das Länderrecht der Bundesrepublik Deutschland fällt, gibt es ebenso viele Bauordnungen wie Bundesländer. Als konkretes Beispiel soll in diesem Beitrag die Bauordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) herangezogen werden (vgl. BauO NRW 2014).

Besondere Anforderungen/Erleichterungen bei Sonderbauten möglich

Für Gebäude besonderer Art und Nutzung – die sog. Sonderbauten – können zur Umsetzung der beschriebenen allgemeinen Schutzziele besondere Anforderungen gestellt werden. Ebenso ist es möglich, im Einzelfall Erleichterungen zu gestatten, wenn die Schutzziele trotzdem eingehalten werden. Diese zusätzlichen Anforderungen und Erleichterungen betreffen eine Vielzahl von Aspekten, die in § 54 der BauO NRW ausführlich aufgelistet sind.

Einige Aspekte sind dabei auch für die Elektrofachkraft von Interesse, da die Auflagen und Erleichterungen u.U. direkte Auswirkungen auf die Ausführung der elektrischen Anlagen, Sicherheitsbeleuchtung oder Brandmeldeanlagen in Sonderbauten haben können. Für die Elektrofachkraft relevante Aspekte, die bei der Projektierung berücksichtigt werden sollten, sind in diesem Fachbeitrag kurz zusammengefasst.

Die Auflagen und Erleichterungen für Sonderbauten können sich auf folgende Punkte erstrecken:

  1. Bauart und Anordnung aller für die Standsicherheit, Verkehrssicherheit, den Brandschutz, den Wärme- und Schallschutz oder Gesundheitsschutz wesentlichen Bauteile
    Hier ist insbesondere der Brandschutz interessant. So kann z.B. für die bauliche Ausführung von bestimmten Räumen eine Anforderung an die Feuerwiderstandsdauer der Wände oder Decken gestellt werden. Ein Beispiel dafür sind Transformatoren und Schaltanlagen für Nennspannungen über 1 kV. Für diese Räume wird gemäß Teil 6 der Sonderbauverordnung NRW (SBauVO NRW) z.B. gefordert, dass die Räume feuerbeständig ausgeführt werden.
  2. Brandschutzeinrichtungen und Brandschutzvorkehrungen
    Als Brandschutzeinrichtung können u.a. Brandmeldeanlagen in Sonderbauten gefordert werden, beispielsweise in Versammlungsstätten mit mehr als 1.000 m2 Grundfläche wie etwa Kinos, in denen laut § 20 Abs. 1 SBauVO NRW Brandmeldeanlagen mit automatischen und nicht automatischen Brandmeldern notwendig sind.
  3. Anordnung und Herstellung der Aufzüge, Treppen, Treppenräume, Flure, Ausgänge sowie der sonstigen Rettungswege und ihre Kennzeichnung
    Für Sonderbauten kann eine Forderung zur Kennzeichnung der Rettungswege bestehen, z.B. in Form von Piktogrammen, die mit einer Sicherheitsbeleuchtung betrieben werden. Als Beispiel kann hier auf die Nachrüstpflicht von bestehenden Versammlungsstätten mit mehr als 5.000 Besucherplätzen gemäß § 45 SBauVO NRW verwiesen werden.
  4. Beleuchtung und Energieversorgung
    Auch für diesen Punkt gibt es ein praktisches Beispiel. So fordert die SBauVO NRW für Verkaufsstätten in § 77 eine Sicherheitsstromversorgungsanlage, die bei Ausfall der allgemeinen Stromversorgung den Betrieb der sicherheitstechnischen Anlagen und Einrichtungen übernimmt, z.B. die Sicherheitsbeleuchtung sowie die Beleuchtung der Stufen und der Hinweise auf Ausgänge.
  5. Nachweise über die Nutzbarkeit der Rettungswege im Brandfall
    Der Sinn dieser Forderung besteht darin, dass Flucht- und Rettungswege auch in einem Brandfall weiterhin nutzbar bleiben. Diese Nachweise werden entweder von Brandschutzsachverständigen mittels Berechnung der Brand- bzw. Rauchausbreitung simuliert oder aber durch reale Feldversuche mittels Verrauchungsszenarien erprobt. Zudem kann die Elektrofachkraft ebenfalls zur Nutzbarkeit von Rettungswegen im Brandfall beitragen. Dazu muss sie sicherstellen, dass z.B. die Brandlast in notwendigen Fluren oder Treppenräumen durch elektrische Leitungen möglichst gering ist. Als Beispiel sei hier auf die Forderungen in Kapitel 3.1 der Leitungsanlagenrichtlinie NRW (LAR NRW) verwiesen. Demnach dürfen z.B. in Sicherheitstreppenräumen und notwendigen Fluren nur elektrische Leitungen verlegt werden, die ausschließlich der unmittelbaren Versorgung dieser Bereiche dienen.
  6. Erst- und wiederkehrende Prüfungen sowie deren Bescheinigung
    Für Sonderbauten sind Prüfungen von technischen Einrichtungen sowie sicherheitstechnischen Anlagen erforderlich. Diese Prüfungen sind meist von dafür anerkannten Sachverständigen durchzuführen. So gibt es in Nordrhein-Westfalen die Prüfverordnung (PrüfVO NRW), die für bestimmte Sonderbauten u.a. die Prüfung von technischen Einrichtungen fordert, z.B. von Sicherheitsbeleuchtungs- und Sicherheitsstromversorgungsanlagen, Brandmelde- und Alarmierungsanlagen sowie von elektrischen Anlagen. Diese Prüfungen sind vor der ersten Inbetriebnahme, nach einer wesentlichen Änderung und wiederkehrend in periodischen Zeiträumen vom Bauherrn oder Betreiber zu veranlassen. Die jeweiligen Prüfsachverständigen stellen nach erfolgter Prüfung die entsprechenden Prüfbescheinigungen (Prüfberichte) aus. Diese dienen dem Bauherrn oder Betreiber als Nachweis gegenüber der Bauaufsicht.

Resümee

Diese Erläuterungen und Beispiele zeigen, dass die Einstufung eines Gebäudes als Sonderbau auch Auswirkungen auf die Ausführung und den Umfang der elektrotechnischen Anlagen haben kann. Verbindliche Informationen zur baurechtlichen Einstufung eines Gebäudes sind der Baugenehmigung und dem Brandschutzkonzept zu entnehmen.

Quelle

BauO NRW (2014): Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Stand: 01.03.2000 (18.11.2014)

  • Autor:

    Dipl.-Ing. (FH) Christoph Schneppe, B.A.

    geschäftsführender Gesellschafter im Sachverständigenbüro Bluhm + Schneppe

    Christoph Schneppe

    Christoph Schneppe betreut als freiberuflicher Sachverständiger für Elektrotechnik den Schwerpunkt baurechtliche Prüfungen. Er ist VdS-anerkannter Sachverständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen und staatlich anerkannter Sachverständiger (Prüfsachverständiger) für Sicherheitsbeleuchtungs-, Sicherheitsstromversorgungs-, Brandmelde- und Alarmierungsanlagen.

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