Welche Arbeiten zählen als Arbeiten unter Spannung?

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Welche Arbeiten zählen als „Arbeiten unter Spannung“?
Welche Arbeiten zählen als „Arbeiten unter Spannung“? (Bildquelle: kadmy/iStock/Thinkstock)

Frage aus der Praxis

Unsere Elektrofachkräfte müssen regelmäßig Anschlusskästen bis 63 A an s.g. BD-Systemen unter Spannung einsetzen und anschrauben. Es handelt sich hier um ein älteres Energieverteilungssystem für Kleinmaschinen, die direkt vom unter der Decke laufenden Sammelschienensystem mittels Sicherungskästen eingespeist werden. Diese Systeme können in der Regel nicht abgeschaltet werden. Es wird von der Leiter aus eine kleine Klappe aufgeschoben, die den Zugang zu den Kupferschienen freigibt. Danach wird der Kasten mit den Stromabnehmern an die Schienen herangedrückt und mit zwei Schrauben befestigt. Hier gibt es verschiedene Aussagen, ob dies unter Arbeiten unter Spannung fällt oder nicht. Können Sie dies eindeutig klären?

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Antwort des Experten

Autor: Dipl.-Ing. Jörg Belzer

Die Definition von Arbeiten unter Spannung (AuS) ist sowohl in der DGUV Regel 103-011 „Arbeiten unter Spannung an elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln“ als auch in der VDE 0105-100:2015-10 „Betrieb von elektrischen Anlagen eindeutig geregelt.

Definition „Arbeiten unter Spannung“

VDE 0105-100:2015-10, Abschnitt 6.3.1.1

Arbeiten unter Spannung sind Tätigkeiten wie Verbinden, Montieren, Ein- und Ausbauen, Gängigmachen und Fetten, Abdecken oder Reinigen, z.B.

  • Montieren einer Abzweigmuffe für einen Hausanschluss, auch mittels Klemmring mit Berührungsschutz
  • Montage/Demontage von einzelnen Sicherungsleisten und Sicherungslastschaltleisten in Kabelverteilerschränken;
  • Auswechseln von Zählern und Schaltuhren und das Sperren von Kundenanlagen;
  • Ausklemmen von Einzeladern bei der Fehlereingrenzung in Hilfsstromkreisen;
  • Überbrücken von Teilstromkreisen;
  • Wartungsarbeiten in Anlagen;

Zu diesen Montagearbeiten könnte man auch das Montieren eines Kleinverteilers an ein vorhandenes Stromverteilersystem zählen.

VDE 0105-100:2015-10, Abschnitt 6.3.1.2

Bei Arbeiten unter Spannung berühren Personen bewusst mit Körperteilen, Werkzeugen, Ausrüstungen oder Vorrichtungen blanke unter Spannung stehende Teile oder dringen in die Gefahrenzone ein.


Von dieser Regelung ausgenommen sind z.B. das Auswechseln von Sicherungseinsätzen oder das Heranführen von Spannungsprüfern.

Downloadtipps der Redaktion

e+-Artikel: Erläuterungen zur DGUV Vorschrift 3 „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“

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Arbeitsauftrag: AuS nach VDE 0105-100

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E-Book: Antworten auf häufig gestellte Fragen

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e+-Artikel: DIN VDE 1000-10: Anforderungen an die in der Elektrotechnik tätigen Personen

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Der Arbeitgeber muss den Arbeitsschutz aufrecht erhalten

Die Diskussionen zu diesem Thema sind regelmäßig vorzufinden. Gerade spezielle Grenzfälle lassen mehrere Betrachtungsvarianten zu. Letztendlich ist man als Betreiber einer elektrischen Anlage sowie als Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitsschutz aufrecht zu halten. Jede Gefährdung für den Mitarbeiter ist zu verhindern.

Da in dem genannten Fall eine Montage an einer unter Spannung stehenden Stromschiene stattfindet und somit aktive Elemente mit einer Vorrichtung bewusst berührt werden, sollten auch hier die Regeln zum Arbeiten unter Spannung eingehalten werden. Lediglich von der Qualifikation zur Elektrofachkraft kann hierbei abgewichen werden, solange sich die Tätigkeit z.B. ausschließlich auf das Auswechseln der Verteiler beschränkt. Da Sie als verantwortlicher Betreiber der Anlage somit nicht nur die Qualifikation der Mitarbeiter, sondern auch die Arbeitsabläufe der Tätigkeiten sicherstellen, kommen Sie Ihrer Verantwortung aus Sicht der Betriebssicherheitsverordnung und des Arbeitsschutzgesetzes in ausreichendem Maße nach.

Erstellen Sie eine Gefährdungsbeurteilung

Die genannten Beispiele aus der DGUV Regel 103-011 sind als Hilfestellung und nicht als abgeschlossenes Beispielwerk zu verstehen. Die Entscheidung, ob die Regeln zum Arbeiten unter Spannung Anwendung finden oder nicht, müssen Sie als Betreiber der Anlage sowie in Ihrer Funktion als Arbeitgeber bzw. verantwortliche Person im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung treffen.

DGUV Regel 103-011 – Vorbemerkung

Auf der Basis einer Gefährdungsbeurteilung entscheidet der Unternehmer über die Anwendung der Arbeitsmethode Arbeiten unter Spannung. Als oberster Grundsatz gilt, dass diese Arbeiten nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn die Sicherheit und der Gesundheitsschutz aller an den Arbeiten beteiligten Personen sichergestellt werden kann.

Nur durch Anwendung geeigneter Arbeitsverfahren und gut ausgebildetes und ausgerüstetes Personal kann die sichere Ausführung der Arbeiten erreicht werden.

  • Autor:

    B. Eng., MBA Jörg Belzer

    Leiter der technischen Abteilung des Logistikzentrums einer Handelskette

    Belzer, Joerg

    Jörg Belzer leitet heute die technische Abteilung eines Logistikzentrums einer großen Handelskette.

    Er absolvierte eine Ausbildung zum Energieanlagenelektroniker und war anschließend mehrere Jahre in der elektrotechnischen Instandhaltung tätig. Nach dem anschließenden nebenberuflichen Ingenieurstudium konnte er die gesamttechnische Leitung des Unternehmens übernehmen.

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