Predictive Maintenance in der Energieverteilung: Wie künstliche Intelligenz Stromausfälle verhindern soll
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Der wachsende Strombedarf durch Elektromobilität, Wärmepumpen und Industrie 4.0, inklusive der ständig weiter ansteigenden KI-Nutzung, trifft auf eine Netzinfrastruktur, die vielerorts an ihrer Belastungsgrenze arbeitet. Die Integration fluktuierender Energiequellen, der steigende Digitalisierungsgrad und der Rückgang planbarer Erzeugungskapazitäten erhöhen die Anfälligkeit für Störungen. Während klassische Wartungsstrategien auf feste Intervalle und Reaktion im Schadensfall setzen, verändert künstliche Intelligenz das Prinzip der Instandhaltung grundlegend. Predictive Maintenance versetzt Energieversorger in die Lage, drohende Ausfälle vorherzusehen, Fehlerquellen zu isolieren und Netzstörungen zu vermeiden, bevor sie entstehen.
Vom reaktiven zum vorausschauenden Netzbetrieb
Traditionelle Wartungssysteme stoßen an Grenzen, sobald sich Netzarchitekturen dynamisch verändern. Dezentrale Einspeisung, Ladeinfrastruktur und Sektorenkopplung führen zu neuen Belastungsmustern, die sich mit festen Wartungsintervallen nicht erfassen lassen. Predictive Maintenance nutzt kontinuierliche Datenströme aus Sensorik, Schaltprotokollen und Umgebungsüberwachung, um Abweichungen vom Normalbetrieb frühzeitig zu erkennen. KI-Modelle werten Strom- und Spannungsverläufe, Temperaturprofile und Schaltvorgänge aus und leiten daraus Zustandsprognosen ab. So lassen sich Komponenten, die kurz vor einem Defekt stehen, gezielt identifizieren.
In Netzleitstellen wird dieser Ansatz zunehmend mit Echtzeitanalyse kombiniert. Systeme erfassen Messwerte aus Transformatoren, Umspannwerken und Ortsnetzstationen, prüfen deren Plausibilität und gleichen sie mit historischen Vergleichsdaten ab. Entstehen Unregelmäßigkeiten, z.B. erhöhte Schaltzyklen, thermische Spitzen oder ungewöhnliche Frequenzabweichungen, schlägt das System Alarm, lange bevor ein Mensch eine Störung wahrnehmen würde.
Daten als Grundlage für Selbstdiagnose
Die Grundlage der vorausschauenden Wartung ist eine umfassende Datenerfassung. Sensoren in Schaltanlagen, Trafostationen und Freileitungen liefern Temperatur-, Vibrations- und Spannungsdaten in hoher zeitlicher Auflösung. Kommunikationsprotokolle aus SCADA-Systemen und IEC-61850-Leitstellen ergänzen die technischen Betriebswerte um Zustandsmeldungen, die sich automatisiert auswerten lassen. KI-Systeme erkennen wiederkehrende Muster, korrelieren sie mit bekannten Ausfallursachen und bewerten das Risiko eines bevorstehenden Fehlers. Dabei kommen neuronale Netzwerke wie Recurrent Neural Networks oder Long Short-Term Memory zum Einsatz, die zeitliche Zusammenhänge erfassen und schleichende Trends identifizieren.
Recurrent Neural Networks (RNN) und deren erweiterte Variante Long Short-Term Memory (LSTM) gehören zu den neuronalen Netzen, die speziell für zeitabhängige Daten entwickelt wurden. Für Elektrofachkräfte (EFKs) bedeutet das: Diese Modelle merken sich frühere Zustände eines Systems und beziehen sie in die aktuelle Analyse ein. Ein RNN verarbeitet Messwerte nicht isoliert, sondern erkennt, wie sich Spannung, Strom oder Temperatur über die Zeit verändern.
Das LSTM erweitert dieses Prinzip durch interne Speicherzellen, die zwischen kurzfristigen Schwankungen und langfristigen Trends unterscheiden können. So erkennt das System, wenn sich eine Trafowicklung über Wochen minimal stärker erwärmt als üblich oder wenn eine Leitungsimpedanz langsam zunimmt, Hinweise auf beginnende Alterung, Kontaktprobleme oder Materialermüdung. Diese Modelle bilden damit die Grundlage für ein Frühwarnsystem, das zeitliche Muster im Netzverhalten erkennt, bevor sie zu messbaren Störungen führen.
Die Modelle lernen, wie sich ein Kabel, ein Transformator oder ein Leistungsschalter vor einem Ausfall verhält, welche Temperaturabweichungen, Frequenzdrifts oder Lastspitzen typisch sind. Durch diese Mustererkennung lässt sich der Zustand der Netzelemente nahezu in Echtzeit prognostizieren. Entsprechend werden Wartungseinsätze nicht mehr nach festen Intervallen, sondern nach tatsächlichem Risiko priorisiert.
Selbst heilende Stromnetze und adaptive Steuerung
Forschungsprojekte aus den USA zeigen, dass sich auf dieser Basis selbst heilende Stromnetze entwickeln lassen (www.nature.com). Systeme analysieren Leitungszustände, erkennen Spannungseinbrüche und leiten Stromflüsse innerhalb von Millisekunden um, um einen Blackout zu verhindern. An der University of Texas und der University at Buffalo arbeiten Wissenschaftler an Netzen, die auf Störungen autonom reagieren (www.buffalo.edu). Künstliche Intelligenz entscheidet selbstständig, welche Lastpfade umgeschaltet werden, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Kombination aus Reinforcement Learning und Netzsimulation ermöglicht es, Fehlerstellen zu isolieren, ohne dass der Mensch eingreifen muss.
Kalifornien und Behörden in den USA testen ein ähnliches Konzept mit der KI-Software Genie (www.caiso.com). Sie analysiert Echtzeitdaten aus dem Netz, konsolidiert Ausfallmeldungen und erstellt automatische Störungsberichte. Ziel ist es, den Ausfallmanagementprozess zu automatisieren und Reaktionszeiten in Leitstellen von Minuten auf Sekunden zu verkürzen. Je nach Zuverlässigkeit der KI sollen künftig auch Entscheidungen über Netzschaltungen teilautonom erfolgen.
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Checkliste: Energiemanagementsystem nach DIN VDE 0100-801
Netzleittechnik im Wandel
Die VDE-Studie „Künstliche Intelligenz in der Netzleittechnik“ beschreibt die Integration dieser Systeme als strukturellen Paradigmenwechsel (www.vde.com). KI wird nicht nur als Analysewerkzeug eingesetzt, sondern zunehmend als integraler Bestandteil der Netzführung. Anwendungsfelder reichen von Last- und Erzeugungsprognosen über Angriffserkennung bis hin zur automatisierten Schutzparameteroptimierung. In der Niederspannung kann KI fehlende Messsysteme ersetzen, indem sie den Zustand ganzer Netzabschnitte aus wenigen Messpunkten schätzt.
Gerade in der Fehlererkennung liegen enorme Potenziale. Hoch entwickelte Anomaliedetektionssysteme erkennen hochohmige Erdfehler, die sonst unbemerkt bleiben und über längere Zeit Brände oder Isolationsschäden verursachen können. Im Übertragungsnetz lassen sich mit KI Kurzschlussorte sekundenschnell lokalisieren, wodurch Entstörzeiten deutlich sinken.
Vom digitalen Zwilling zur präventiven Instandhaltung
Durch den Einsatz digitaler Zwillinge werden Anlagen virtuell abgebildet und kontinuierlich mit Echtzeitdaten synchronisiert. In Kombination mit Machine Learning entsteht ein sich selbst prüfendes System, das Alterung, thermische Belastung und Schalthäufigkeit fortlaufend bewertet. Diese Informationen fließen in die Netzplanung, in die Schutzparameterberechnung und in den langfristigen Asset-Management-Prozess ein. Netzbetreiber können so voraussagen, wann eine Komponente gewartet oder ersetzt werden muss, bevor ihre Leistungsgrenze erreicht ist.
Besonders Transformatoren profitieren von vibroakustischer Zustandsüberwachung. KI-basierte Modelle erkennen Abweichungen im Schaltvorgang, die auf Materialermüdung oder Isolationsverschleiß hinweisen. Durch präzise Bewertung der Alterung lassen sich Überlastungen vermeiden und ungeplante Stillstände verhindern.
Integration von Edge-Intelligenz in die Verteilnetzüberwachung
Die Zukunft der vorausschauenden Netzführung liegt nicht allein in zentralen Rechenzentren, sondern zunehmend in der intelligenten Dezentralisierung der Analyseprozesse. Edge-Intelligenz verlagert Berechnungen und Diagnosen direkt in die Ortsnetzstationen und Schaltfelder, wo relevante Zustandsdaten in Echtzeit entstehen. Statt große Datenmengen unkomprimiert in die Leitstelle zu übertragen, werden Anomalien lokal erkannt, bewertet und gefiltert. Das reduziert Kommunikationslast, verbessert Reaktionszeiten und minimiert die Abhängigkeit von zentraler Netzverfügbarkeit. Gerade in kritischen Situationen, in denen Übertragungswege gestört sind oder ein regionaler Netzausfall droht, bleibt die lokale Entscheidungsfähigkeit erhalten. KI-Modelle auf Edge-Geräten können Parameter wie Spannungseinbrüche, Frequenzabweichungen oder Temperaturanstiege autonom interpretieren und vor Ort Gegenmaßnahmen initiieren, z.B. die Umschaltung auf redundante Leitungen oder die gezielte Lastabwurfsteuerung.
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Echtzeit-Korrelation von Betriebszustand und Netzstabilität
Ein wesentlicher Fortschritt im Bereich der vorausschauenden Instandhaltung besteht in der dynamischen Korrelation zwischen physikalischen Zustandsdaten und der tatsächlichen Netzstabilität. Moderne Leitstellenplattformen kombinieren inzwischen Messwerte aus Strom-, Spannungs- und Frequenzüberwachung mit semantischen Netzmodellen, die den gesamten Betriebszustand abbilden. Durch diese Verbindung kann ein Predictive-Maintenance-System nicht nur erkennen, dass eine Komponente altert oder überlastet ist, sondern auch bewerten, welche systemische Auswirkung dieser Zustand im Netzverbund hätte. So werden kritische Abhängigkeiten sichtbar, die in herkömmlichen Wartungsstrategien unberücksichtigt blieben.
Ein Transformator mit ansteigender Wicklungstemperatur stellt z.B. kein isoliertes Problem dar, wenn seine Last über parallele Stränge umverteilt werden kann. Wird jedoch gleichzeitig eine erhöhte Stromaufnahme an einer benachbarten Sammelschiene registriert, deutet das auf eine strukturelle Überlastung hin, die sich in Minuten zu einem Spannungseinbruch ausweiten kann. KI-Systeme, die solche Zusammenhänge in Echtzeit erfassen, leiten präventiv Umkonfigurationen oder Drosselungen ein. Sie identifizieren nicht nur Defekte, sondern die Kettenreaktionen, die daraus entstehen könnten. Diese Fähigkeit markiert den Übergang von rein datenbasierter Zustandsüberwachung zu einer netzweiten Stabilitätsprognose. Der Effekt reicht weit über die Instandhaltung hinaus: Netzbetreiber gewinnen ein Werkzeug, das technische Risiken in strategische Steuerungsgrößen übersetzt und so den Betrieb auf physikalisch und wirtschaftlich optimalem Niveau hält.
Ein entscheidender Vorteil dieser Architektur besteht in der Resilienz gegenüber Cyberangriffen und Kommunikationsstörungen. Während zentrale Systeme bei einem Ausfall der Datenverbindung blind werden, behalten Edge-Komponenten ihre Funktionsfähigkeit und handeln autark nach zuvor geprüften Strategien. Ergänzend können sie über sichere Synchronisationsmechanismen regelmäßig mit der Leitstelle abgeglichen werden, um die Modellparameter aktuell zu halten. Damit entsteht ein mehrstufiges Schutzkonzept aus lokaler Reaktionsfähigkeit und zentraler Koordination. Die Kombination aus Predictive Maintenance und Edge-Intelligenz macht die Energieverteilung robuster gegen Störungen, verkürzt Diagnosezeiten und ermöglicht eine feingranulare Steuerung bis in die Niederspannungsebene. Für Netzbetreiber bedeutet das einen qualitativen Sprung: von der reinen Zustandsüberwachung hin zu einer autonomen, regional adaptiven Stabilisierung des Versorgungsnetzes.
Adaptive Schutzkonzepte für resiliente Verteilnetze
Mit der zunehmenden Durchdringung der Energieverteilung durch künstliche Intelligenz entsteht die Möglichkeit, Schutzkonzepte dynamisch an aktuelle Netzbedingungen anzupassen. Klassische Schutzsysteme basieren auf statischen Kennlinien und festen Auslöseparametern. Diese sind jedoch auf ein Netz ausgelegt, dessen Struktur und Lastfluss weitgehend konstant bleiben. In modernen, stark dezentralisierten Versorgungsstrukturen verändern sich die Betriebszustände innerhalb von Sekunden, Einspeisung, Verbrauch, Spannungslage und Blindleistungsverhältnisse schwanken permanent. KI-basierte Systeme können diese Veränderungen in Echtzeit analysieren und Schutzparameter situativ neu berechnen. Sie bewerten, ob ein lokaler Fehler tatsächlich kritisch ist oder ob das System ihn ohne Abschaltung kompensieren kann.
In Verbindung mit Predictive Maintenance entsteht so eine Schutzphilosophie, die nicht nur auf Fehler reagiert, sondern deren Wahrscheinlichkeit in die Bewertung einbezieht. Ein Algorithmus, der eine sich verschlechternde Kontaktstelle erkennt, kann das Schutzsystem in einem höheren Sensitivitätsmodus betreiben, bis eine Wartung erfolgt ist. Gleichzeitig werden benachbarte Komponenten überprüft, um sekundäre Risiken auszuschließen. Die VDE-Taskforce sieht in dieser Kombination aus adaptiver Schutztechnik und datenbasierter Prognose einen zentralen Schritt hin zu selbst stabilisierenden Energienetzen. Ein solches Netz erkennt nicht nur seine Schwachstellen, sondern reguliert seine Schutzmechanismen aktiv nach. Damit entsteht ein mehrdimensionales Sicherheitskonzept, das Störungen lokal isoliert, ohne den Gesamtbetrieb zu beeinträchtigen. Für die Energieverteilung der Zukunft bedeutet das einen Paradigmenwechsel – vom statisch abgesicherten zum lernend geschützten System.
Automatisierte Stabilisierung und intelligente Netzarchitektur
Das österreichische Unternehmen enliteAI zeigt, wie Reinforcement Learning die Stabilität großer Stromnetze verbessern kann (https://enlite.ai/solutions/energy). Ihre Systeme optimieren Netztopologien durch gezielte Schaltungen, um Engpässe zu reduzieren und erneuerbare Energie effizienter einzuspeisen. Da die Zahl möglicher Schaltzustände exponentiell wächst, sind klassische Berechnungsverfahren überfordert. KI-Agenten simulieren Millionen Netzszenarien und lernen, mit minimalen Eingriffen maximale Netzstabilität zu erzielen.
Diese aktive Topologiesteuerung ermöglicht es, Lastflüsse umzuleiten, bevor Überlastungen entstehen. Netzbetreiber vermeiden dadurch Redispatch-Maßnahmen und reduzieren den Bedarf an fossilen Reservekraftwerken. KI wirkt damit nicht nur als Instandhaltungsinstrument, sondern als strategische Steuerungsebene, die Netzsicherheit, Effizienz und Nachhaltigkeit vereint.
Predictive Maintenance als Sicherheitskomponente
Neben der technischen Zuverlässigkeit verbessert Predictive Maintenance auch die Cyberresilienz. Anomalieerkennungssysteme können Manipulationen in Datenströmen identifizieren, die auf Cyberangriffe hindeuten. Durch den Abgleich von Prozess- und Kommunikationsdaten erkennt KI untypische Muster in der Leitstellenkommunikation und warnt, bevor Systeme beeinträchtigt werden. Damit verschmilzt physische und digitale Netzsicherheit zu einem einheitlichen Schutzkonzept.
Gleichzeitig schaffen standardisierte Implementierungsprozesse, wie sie der VDE fordert, Vertrauen in die Technologie. KI-Modelle werden nach definierten Anforderungsprofilen entwickelt, getestet und verifiziert. Der Mensch bleibt stets letzte Entscheidungsinstanz, während die KI Entscheidungshilfen liefert und Routineanalysen übernimmt.
Datenqualität und Vertrauenswürdigkeit als Grundlage präventiver Netzdiagnose
Jede Form vorausschauender Netzüberwachung steht und fällt mit der Qualität der zugrunde liegenden Daten. Sensorik, Kommunikation und Datenaufbereitung bilden die technische Basis, doch erst durch präzise Kalibrierung, Synchronisierung und Plausibilisierung entsteht die Grundlage für verlässliche KI-Analysen. In der Energieverteilung gilt das noch stärker als in klassischen Industrien, da die Vielzahl dezentraler Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten ein heterogenes Datenumfeld erzeugt. Fehlerhafte Messwerte oder Zeitverschiebungen zwischen Stationen können Prognosen verzerren und Fehlalarme auslösen. Systeme, die selbstlernend auf unpräzise Eingangsdaten reagieren, neigen zu unvorhersehbaren Entscheidungen, wenn keine durchgängige Datenintegrität sichergestellt ist. Die VDE-Studie verweist darauf, dass erfolgreiche KI-Modelle deshalb nicht nur in ihrer Funktion validiert, sondern auch in ihrem Training und in den verwendeten Datensätzen dokumentiert werden müssen. Ohne nachvollziehbare Herkunft, Güte und Verarbeitungsschritte der Daten bleibt jedes KI-Ergebnis eine statistische Annäherung, aber keine belastbare Entscheidungsgrundlage für den Netzbetrieb.
Die Herausforderung liegt nicht allein in der technischen Messgenauigkeit, sondern in der dauerhaften Konsistenz über den gesamten Lebenszyklus der Anlagen. Sensoren altern, Kommunikationsprotokolle ändern sich, Messbereiche verschieben sich durch thermische oder mechanische Belastung. Wird dieser Drift nicht erkannt, verliert das Modell mit der Zeit seine Aussagekraft. Daher fordern Netzbetreiber zunehmend Prüfroutinen, die die Datenqualität automatisiert überwachen und Abweichungen kennzeichnen. Ergänzend kommen Verfahren der formalen Verifikation hinzu, bei denen neuronale Netze auf ihre Stabilität und Kausalität geprüft werden. Nur wenn jedes Ergebnis im Nachhinein erklärbar bleibt, kann die KI als vertrauenswürdiger Bestandteil kritischer Infrastruktur gelten. Vertrauen entsteht hier nicht aus technischer Faszination, sondern aus überprüfbarer Zuverlässigkeit – und aus der Gewissheit, dass die Maschine auf nachvollziehbare Weise zu ihrem Urteil gelangt. Erst unter dieser Voraussetzung lässt sich künstliche Intelligenz in Sicherheits- und Steuerungsprozesse der Energieverteilung integrieren, ohne das Risiko einer unkontrollierten Systemreaktion zu erhöhen.
Ökonomische und betriebliche Effekte
Die vorausschauende Wartung senkt Ausfallzeiten, optimiert Ressourceneinsatz und reduziert Wartungskosten. Netzbetreiber können Inspektionen nach Risikowahrscheinlichkeit priorisieren und Ersatzteile gezielt bevorraten. Im Vergleich zu ungeplanten Störungen sinken die Instandhaltungskosten erheblich. Noch entscheidender ist die Erhöhung der Versorgungssicherheit. In Stromnetzen bedeutet jede Minute Stillstand potenzielle Millionenverluste, Predictive Maintenance reduziert diese Risiken drastisch.
Die kalifornischen und europäischen Pilotprojekte zeigen, dass sich Automatisierung und Echtzeitdiagnose zu einem selbstlernenden Netzmanagement verbinden lassen. Das Ergebnis sind Netze, die auf äußere Einflüsse reagieren, ohne den Menschen zu überfordern.
Ausblick
Die Einführung von künstlicher Intelligenz in der Energieverteilung markiert den Beginn einer neuen Netzgeneration. Systeme lernen, ihre eigenen Schwachstellen zu erkennen, Fehlerquellen zu isolieren und Störungen zu kompensieren, bevor sie sich ausbreiten. Die Entwicklung geht über bloße Wartung hinaus, hin zu autonomen, selbst heilenden Infrastrukturen.
Predictive Maintenance wird damit zum Schlüsselbegriff einer stabilen, resilienten und dekarbonisierten Energiezukunft. Sie ersetzt starre Wartungspläne durch datengetriebene Prognosen, verbindet operative Effizienz mit Netzsicherheit und macht Stromausfälle zur Ausnahme statt zur Regel.
Strategisches Vorgehen für Fachbetriebe und Netzunternehmen
Für Elektrofachkräfte und Energieunternehmen beginnt die praktische Umsetzung von Predictive Maintenance nicht mit komplexer KI-Entwicklung, sondern mit einer strukturierten Datengrundlage. Entscheidend ist, vorhandene Sensorik systematisch zu erfassen, Datenquellen zu harmonisieren und Qualitätsstandards festzulegen. Wer Anlagenzustände bisher nur manuell dokumentiert, sollte damit beginnen, relevante Betriebsparameter, Temperaturen, Ströme oder Schaltzyklen, kontinuierlich aufzuzeichnen und zentral auszuwerten. Erst auf dieser Basis können lernfähige Systeme eingeführt werden, die Muster erkennen und Risiken bewerten.
Parallel dazu lohnt sich die Qualifizierung des Personals im Bereich datengetriebener Netzdiagnostik und digitaler Schutztechnik. Fachbetriebe, die frühzeitig interne Kompetenz aufbauen, sichern sich Handlungsspielräume, wenn regulatorische Anforderungen an KI-gestützte Instandhaltung verbindlich werden. Unternehmen sollten Pilotprojekte in begrenzten Netzabschnitten starten, um Erfahrungen zu sammeln, Modelle zu validieren und betriebliche Prozesse anzupassen. Der Schritt zur intelligenten Wartung ist weniger ein Technologiesprung als eine strategische Entwicklung – vom reaktiven Eingriff zum vorausschauenden Netzmanagement, das die Versorgungssicherheit aktiv gestaltet.
Kurz & knapp: Predictive Maintenance in der Energieverteilung
- Was ist Predictive Maintenance?
Vorausschauende Wartung nutzt künstliche Intelligenz, um drohende Stromausfälle frühzeitig zu erkennen und gezielt zu verhindern. - Wie funktioniert das?
Sensoren und KI-Modelle analysieren kontinuierlich Betriebsdaten (z.B. Strom, Spannung, Temperatur) und identifizieren Muster, die auf bevorstehende Defekte hinweisen. - Vorteile für Netzbetreiber und Elektrofachkräfte:
- weniger ungeplante Ausfälle
- optimierte Wartungseinsätze
- höhere Versorgungssicherheit
- effizientere Ressourcennutzung
- Praxistipp:
Der Einstieg gelingt mit strukturierter Datenerfassung und gezielter Qualifizierung im Bereich digitaler Netzdiagnostik.
Fazit:
Predictive Maintenance ist der Schlüssel zu stabilen, sicheren und zukunftsfähigen Stromnetzen.
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