Windenergie nutzen ganz ohne Masten und Rotoren
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Bei Windkraft denkt jeder an Windräder oder Windmühlen. Doch es geht auch anders, wie Windenergiesysteme auf Basis von Hightech-Drachen und sogenannte Flugwindkraftwerke zeigen.
Drachen steigen zu lassen ist ein beliebter Herbstspaß, den viele aus der Kindheit kennen. Mancher zieht später mit dem eigenen Nachwuchs los, um auf abgeernteten Stoppelfeldern die selbstgebastelten Flugdrachen im Herbstwind schaukeln zu lassen. Nicht selten kann man dann beobachten, dass der Papa die Schnur – bzw. bei Lenkdrachen beide Leinen – in der Hand behält. Denn die Zugkraft schon vergleichsweise kleiner Drachen kann überraschend groß sein und ist von einem Kind kaum zu bewältigen.
Drachen: vom Herbstspaß zur Energiegewinnung
Genau dies macht sich ein neuer Ansatz zunutze, um aus Windkraft elektrischen Strom zu gewinnen. Und ebenso wie bei den Kinderdrachen für herbstliche Windspiele die Modellvielfalt immer größer geworden ist – vom Klassiker aus Krepppapier über zwei gekreuzten Holzstäben bis zum Profimodell aus Kohlefaser und Fiberglas –, steigt auch bei der Drachenwindnutzung die Vielfalt der genutzten Materialien und technischen Varianten. Nachfolgend einige Beispiele:
- textile Drachen: Das Hamburger Unternehmen SkySails experimentiert mit einem System, bei dem an einem Mast hängende textile Drachen sich bei Wind wie eine Gardine aufblähen. Der Drachen nimmt dadurch die Form eines Flügels an, steigt vom Mast auf und dreht in einer optimalen Flughöhe dann Achterschleifen. Über ein Seil wird die gewonnene Energie zum Generator am Boden übertragen. Dabei soll die Energieausbeute doppelt so groß sein wie bei einem Windrad in gleicher Höhe.
- Alu-Drachen: Die Firma Kitekraft aus München entwickelt Drachen aus Aluminium. Diese Modelle werden mit Rotoren ausgestattet, die zunächst – vergleichbar einer Drohne – für ein sicheres Starten und Landen sorgen. Einmal in der Luft erzeugen die Rotoren dann Strom. Dieser gelangt über das Seil, an dem der Drachen hängt, zu einer Station am Boden und kann dort eingespeist oder gespeichert werden.
- Carbon-Drachen: Das Unternehmen EnerKíte aus Eberswalde arbeitet an einem Prototyp, bei dem ein Drache aus Carbon beim Fliegen immer wieder seine eigenen Halteseile aus Trommeln am Boden zieht. Die dadurch erzeugte Rotationsenergie durch das Drehen der Trommeln wird von einem Generator in elektrische Energie umgewandelt. Ist ein Seil komplett ausgerollt, wird es zurückgezogen und der Vorgang beginnt von Neuem. Gestartet und gelandet wird der Drachen mithilfe eines rotierenden Mastes.
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Das niederländische Unternehmen Kitepower hat sein Windenergiesystem auf einer karibischen Insel installiert. Die Falcon genannte 100-kW-Höhenwindkraftanlage besteht aus dem Drachen, seinem Halteseil, einer Steuereinheit und der Bodenstation. 2021 hat der Falcon seinen Jungfernflug erfolgreich bestanden.
Weniger Material, einfacher Transport, geringe Investitionen
Schaut man sich derartige Konzepte an – und einige von ihnen sind bereits an das Stromnetz angeschlossen –, fragt man sich, warum wir bislang allein auf starre, turmhohe Windräder gesetzt haben. Denn die Vorteile solcher fliegenden Windkraftanlagen liegen auf der Hand:
- Sie benötigen – begonnen bei den Fundamenten – deutlich weniger Material als ein Windrad gleicher Leistung.
- Komplizierte Schwerlasttransporte und das aufwendige Aufstellen mithilfe riesiger Krane werden überflüssig.
- Der Aufwand für Wartung und einen späteren Rückbau samt Entsorgung ist deutlich geringer.
- Last, but not least: Es gibt bei diesen Anlagen keine Diskussionen um eine Verschandelung des Landschaftsbilds, wie sie inzwischen bei jedem neuen Standort für Windräder auf der Tagesordnung stehen.
Zu potenziellen Gefahren für Vögel oder Risiken für den Flugverkehr ist noch nicht viel bekannt. Es gibt jedoch bereits Überlegungen, die Systeme mit Sensoren auszustatten, sodass die Drachen fliegenden Hindernissen rechtzeitig ausweichen könnten.
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Flugwindkraftwerke nutzen Höhenwinde
Neben den auf Flugdrachen beruhenden Lösungen gibt es andere Flugwindkraftwerke – in der Fachwelt als AWES (Airborne Wind Energy Systems) bekannt –, die auf Luftschiffe oder Ballons setzen. Dabei geht es meist um die Nutzung von Höhenwinden, die stärker sind als die bodennahen Luftbewegungen. Mithilfe künstlicher Intelligenz soll die Steuerungssoftware die Flugobjekte für eine optimale Energieausbeute stets in der am besten an die Windbedingungen angepassten Höhe schweben lassen. Solche Flugobjekte können prinzipiell das ganze Jahr über am Himmel schweben und werden nur im Falle eines Sturms oder zur Wartung eingeholt.
Das italienische Unternehmen KiteGen Research hat einen Prototypen installiert, der in Flughöhen von bis zu 10.000 Metern einsetzbar ist und mit insgesamt neun Generatoren eine Spitzenleistung vom 27 Megawatt erreichen soll. Ähnlich wie beim System von EnerKíte wird auch hier die Energie durch den Wechsel von Auf- und Abspulen gewonnen.
Das Magenn Air Rotor System (MARS) setzte auf ultraleichte Gasballons, die der Wind mittels außen angebrachter Rippen in eine Drehbewegung versetzte, welche zur Energiegewinnung genutzt wurde. Die Firma Makani wurde nicht zufällig von Kitesurfern gegründet. Sie nutzte Lenkdrachen, die mit kleinen Propellern optisch einem Flugzeug ähnelten, und wurde lange von Google unterstützt.
Nicht alle Konzepte und Systeme werden sich durchsetzen. Die früheren Internetadressen von Magenn und Makani z.B. stehen heute zum Verkauf. Auch von KiteGen war zuletzt nicht viel Neues zu hören und die prophezeite „Revolution der Windenergienutzung“ ist bislang ausgeblieben. Doch diese Pioniere haben wertvolle Vorarbeiten geleistet und kreative Köpfe werden die vielfältigen Optionen zum Nutzen der Kraft des Winds weiterentwickeln.
Schnelle und flexible Stromversorgung in Katastrophengebieten
Systeme zur Erzeugung elektrischer Energie aus Wind, die ohne hohe Masten und schwere Rotoren auskommen, bestechen auch durch ihre Flexibilität. Denn sie passen in einen Schiffscontainer oder der Flugdrache wird per Lkw geliefert. Das sind entscheidende Faktoren, um in Katastrophengebieten – auch in abgelegenen Regionen – schnell eine erste Stromversorgung aufbauen zu können.
Die Energieausbeute durch derartige Flugwind-Stromerzeuger wird sicherlich nicht flächendeckend die Energieversorgung sicherstellen können. Aber in kleinen Dörfern, abgelegenen Gehöften, auf Inseln oder Halligen könnten solche Lösungen einen wesentlichen Ansatz darstellen, um unabhängig vom Stromnetz zu werden. Auch Skeptiker müssen anerkennen, dass die Investitionskosten gegenüber Windturbinen oder Solarenergie vergleichsweise gering bleiben. Im Kampf gegen den Klimawandel wird man es sich kaum leisten können, auf eine weitere Option zur Nutzung einer erneuerbaren Energie zu verzichten.
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