Bestandsschutz bei älteren Anlagen

4,5/5 Sterne (58 Stimmen)
Bestandsschutz bei älteren Anlagen
Bestandsschutz bei älteren Anlagen (Bildquelle: hxdyl/iStock/Getty Images Plus)

Wie sieht es eigentlich bei bereits in die Jahre gekommenen Anlagen mit dem Bestandsschutz aus? Was gilt hier bezüglich Berührungsschutz? Vorab: Das Wort „Bestandsschutz“ gibt es in der Elektrotechnik nicht! Es gibt allenfalls ein „Nichtvorhandensein einer Anpassungspflicht“.

„Bestandsschutz“ wird in keiner Norm zitiert

Der „Bestandsschutz“ wird in keiner Norm zitiert; vielmehr werden Gegebenheiten erfasst, zu denen es keine Forderung zur Anpassung (Nachrüstverpflichtung – z.B. nach DGUV Vorschrift 3 (BGV A3) Anhang 1 – Durchführungsanweisung) gibt. Auch sind folgende Punkte in den bestehenden Unterlagen festgelegt:

  • Die Anlage entsprach zum Zeitpunkt der Errichtung den geltenden Normen,
  • sie wurde nicht regelwidrig etc. geändert oder erweitert,
  • und die Nutzung des Gebäudes/Raumes bzw. der Anlage hat sich nicht geändert.

Betriebssicherheitsverordnung schränkt Begriff „Bestandsschutz“ ein

Auch die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) schränkt den Begriff „Bestandsschutz“ deutlich ein; gemäß § 7 müssen ältere Arbeitsmittel, ggf. auch über die damaligen Beschaffenheitsanforderungen hinaus, mindestens den Anforderungen des Anhangs Nr. 1 und Nr. 2 entsprechen. Von besonderer Bedeutung sind hier die folgenden Anforderungen:

  • Bei ... Einstellungsarbeiten an Arbeitsmitteln muss für die Beschäftigten ein sicherer Zugang zu allen hierfür notwendigen Stellen vorhanden sein (Ziffer 2.15 Anhang 1)

  • Arbeitsmittel müssen mit einem Schutz gegen direktes oder indirektes Berühren spannungsführender Teile ausgelegt sein (Ziffer 2.18 Anhang 1).

Für bereits in Betrieb genommene Arbeitsmittel braucht der Arbeitgeber zur Erfüllung dieser Anforderungen jedoch nicht die Maßnahmen gemäß den grundlegenden Anforderungen für neue Arbeitsmittel zu treffen, wenn

  • er eine andere ebenso wirksame Maßnahme trifft, oder
  • die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen im Einzelfall zu einer unverhältnismäßigen Härte führen würde und die Abweichung mit dem Schutz der Beschäftigten vereinbar ist.

Keine Rede von Bestandsschutz in Arbeitsstättenverordnung

Auch die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) gibt im Anhang unter Ziffer 1.4 vor, dass Schaltanlagen und Verteilersysteme

so ausgewählt, installiert und betrieben werden [müssen], dass die Beschäftigten vor dem direkten oder indirekten Berühren spannungsführender Teile geschützt sind.

Von Bestandsschutz ist hier keine Rede; die Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten fordern gemäß der Richtlinie 89/654/EWG in Anhang II Ziffer 3 für bestehende Arbeitsstätten vielmehr einen angemessenen Schutz von Personen vor Unfallgefahren bei direktem oder indirektem Kontakt mit elektrischen Anlagen.

Downloadtipp der Redaktion

E-Book: Prüfprotokolle für die Elektrofachkraft

Hier gelangen Sie zum Download.

Eine Elektrofachkraft muss entscheiden: Ist die Anlage noch sicher?

Die Notwendigkeit, geeignete Maßnahmen festzulegen, ist also eindeutig gegeben; die Wahl der Mittel kann variieren. Um zu einem praxisnahen und rechtssicheren Ergebnis zu kommen, ist die systematische Beurteilung der Arbeitsbedingungen unter Beteiligung von Elektrofachkräften unabdingbar.

Nur eine Elektrofachkraft ist in der Lage, vor Ort konkret zu beurteilen, ob eine elektrische Anlage – nach den seinerzeit geltenden Normen errichtet – noch sicher genug ist. Sie muss kompetent sein, unabhängig denken und verantwortungsbewusst entscheiden, wenn sie dem Anlagenbetreiber ihre Entscheidung (Gutachten!) über die erforderliche Änderung/Anpassung mitteilt.

Unterstützt wird sie durch

  • Anpassungsforderungen/-empfehlungen (BG, VDE, VdS), die nur durchsetzbar sind wenn Normen und Bestimmungen dahinter stehen (BG, VdS, Landesgesetz) und
  • Informationen zum Stand der Technik aus der Fachliteratur.

Die Verantwortung liegt beim Anlagenbetreiber

Der Betreiber der Anlage hat dann zu entscheiden, ob er dieser Empfehlung zur Anpassung folgt. Nur er hat zu verantworten, wenn er sich gegen die Anpassung/Änderung entscheidet. Niemand kann ihm sagen, dass er den Vorgaben/Empfehlungen zur Anpassung nicht folgen soll/braucht/darf. Keiner hat das Recht zu sagen, dass die von der Elektrofachkraft auf Grund von Sicherheitsmängeln zur Anpassung/Änderung empfohlene Anlage in ihrem derzeitigen unsicheren Zustand verbleiben darf. Wer sollte gegebenenfalls die Folgen (Schaden, Brand, Tod) einer solchen Entscheidung bezahlen?

Das heißt auch: Keiner kann einen Bestandsschutz aussprechen oder anordnen. Es gibt keinen Bestandsschutz.

Autoren: Stefan Euler und Hans J. Rübsam

Tipp der Redaktion

elektrofachkraft.de - Das Magazin

Sie wollen mehr Infos zu diesem und weiteren Themen?

Dann empfehlen wir Ihnen elektrofachkraft.de – Das Magazin:

  • spannende Expertenbeiträge zu aktuellen Themen
  • Download-Flat mit Prüflisten, Checklisten, Arbeits- und Betriebsanweisungen.

Erste Ausgabe gratis!

Auch als Onlineversion erhältlich. Machen Sie mit beim Papiersparen.

  • Autor:

    Stefan Euler

    Geschäftsführer der MEBEDO Consulting GmbH und MEBEDO Akademie GmbH sowie BDSH e.V. geprüfter Sachverständiger Elektrotechnik

    Euler, Stefan

    Der Schwerpunkt seiner heutigen Tätigkeit liegt in der Beratung von Unternehmen beim Aufbau einer rechtssicheren Organisationsstruktur im Bereich der Elektrotechnik. Teilweise schließt dies auch die Übernahme der Verantwortung als externe verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) / Interim Manager Elektrosicherheit für die Unternehmen ein.

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Was ist die Summe aus 4 und 4?