Kontrovers: Nicht konventionelle Blitzschutzsysteme

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Für die Gesamtbeurteilung eines Gebäudes muss eine Risikoanalyse nach DIN EN 62305-2 erfolgen.
Für die Gesamtbeurteilung eines Gebäudes muss eine Risikoanalyse nach DIN EN 62305-2 erfolgen. (Bildquelle: schmidt-z/iStock/Getty Images)

Blitzschutzsystem aus äußerem und innerem Blitzschutz

In heutiger Zeit spricht man beim Blitzschutz von einem Blitzschutzsystem, das aus dem äußeren und dem inneren Blitzschutz besteht. Beim Umsetzen einer normgerechten Anlage gemäß der Normenreihe DIN EN 62305 müssen aber auch noch das Erdungssystem, die Trennungsabstände und der Potenzialausgleich beachtet werden. Diese beschreibt die DIN EN 62305-3. Weitergehende Maßnahmen sind dann die Umsetzung von Überspannungsschutzmaßnahmen nach DIN EN 62305-4.

Der äußere Blitzschutz besteht aus der Fangeinrichtung, der Ableitung und der Anbindung der Ableitung in die Erdungsanlage. Durch den äußeren Blitzschutz werden Blitzeinschläge sicher und ohne Beschädigung von Objekten und Anlagen bzw. empfindlichen Strukturen des zu schützenden Objekts zur Erde abgeleitet und durch eine entsprechende Erdungsanlage im Erdreich so verteilt, dass keine weiteren Schäden bzw. Störungen an elektrischen oder elektronischen Geräten und Anlagen auftreten.

In allen Bundesländern gelten zusätzlich die jeweiligen Landesbauordnungen; in diesen werden auch Vorgaben über die Notwendigkeit bzw. Ausrüstung eines Gebäudes mit einer Blitzschutzanlage gemacht. Generell ist die Umsetzung eines Blitzschutzsystems der Schutzklasse III empfohlen. Prinzipiell muss jedoch für eine Gesamtbeurteilung des Gebäudes eine Risikoanalyse nach DIN EN 62305-2 erfolgen. In der Verantwortung der Blitzschutzfirma bzw. des planenden Ingenieurbüros liegt die genaue Spezifizierung der jeweiligen Blitzschutzklasse für das zu schützende Gebäude bzw. für die elektrischen und elektronischen Anlagen und Geräte. Auf dem Markt sind verschiedene Tools zur Berechnung des Risikos und zur Festlegung der Schutzklasse erhältlich. Auch dem Eigentümer bzw. Bauherrn muss mit dem Verweis auf die DIN EN 62305 deutlich gemacht werden, dass seine Verantwortung und Pflicht in der Umsetzung eines entsprechenden Blitzschutzsystems bestehen.

Als Hilfsmittel zur Bestimmung der Blitzschutzklasse kann in erster Abwägung z.B. die VdS-Richtlinie 2010 herangezogen werden. Verantwortungsbewusste Bauherrn bestehen jedoch auf eine Risikoanalyse nach DIN EN 62305-2. Diese Risikoanalysen werden in der Regel von Blitzschutzfirmen oder Ingenieurbüros erstellt und stellen die Grundlage dar, nach der das Blitzschutzsystem ausgeführt wird.

Umsetzung der Blitzschutzanlage

Eine konventionelle Blitzschutzanlage besteht aus den Fangeinrichtungen, den Ableitungen (direkt am Gebäude befestigt oder auch getrennt vom Gebäude) und der Anbindung an die bestehende Erdungsanlage. Die Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet des äußeren Blitzschutzes bleiben natürlich auch nach der Fixierung des Stands der Technik in den Normen (DIN EN 62305) nicht stehen und es gibt vielversprechende Ansätze, den äußeren Blitzschutz zu vereinfachen bzw. völlig neu zu betrachten.

Hier sollen besonders die Art und Weise der Positionierung von Fangeinrichtungen, der Fangeinrichtungen allgemein und der Ableitungen genannt werden. Ziel ist jedoch immer, den Blitz einzufangen und kontrolliert in das Erdungssystem zu leiten und dort gefahrlos für Personen, Tiere und Sachwerte zu verteilen.

Neuere Methoden zur Positionierung von Fangeinrichtungen:

  1. Das dynamische elektro-geometrische Modell (DEGM)
  2. ESE-Fangeinrichtung
  3. CVM-Modell

DEGM — Elektro-geometrisches Modell

An der FH Aachen wird unter Prof. Kern an einem dynamischen elektro-geometrischen Modell geforscht, dessen Ziel es ist, eine Optimierung der Anzahl, der Höhe und der Positionierung von Fangstangen rechnerisch durchzuführen. Als Grundlage dient das elektro-geometrische Modell. Nach dem Blitzkugelverfahren werden die Einschlagpunkte ermittelt. Mithilfe des Rechenprogramms wird die Einschlagwahrscheinlichkeit an den relevanten Punkten bzw. an den dort gesetzten Fangstangen bestimmt. Es wird festgestellt, wo sich die höchsten Wahrscheinlichkeiten von Blitzeinschlägen ergeben, und danach kann die Anzahl der Fangstangen optimiert werden. An Punkten mit äußerst geringer Einschlagwahrscheinlichkeit brauchen dann keine Fangeinrichtungen gesetzt werden. In Zukunft wird es also möglich sein, mit einem softwaregestützten Rechenprogramm 3D-Blitzschutzplanungen mit optimierten Fangsystemen am Computer zu erstellen.

ESE-Fangeinrichtungen — Größerer Schutzbereich

Dieser Begriff steht für ein Blitzfangsystem, welches durch z.B. aktive Komponenten oder aufgrund einer besonderen physikalischen Form die Blitze „einfangen” sollen. Die Hersteller dieser Systeme versprechen dadurch einen minimierten Einsatz von Fangeinrichtungen und einen größeren Schutzbereich. Der Einsatz solcher Fangeinrichtungen ist nicht grundsätzlich verboten und beispielsweise in französischen und spanischen Normen erwähnt (NFC 17-102/1995; UNE 21186/2011). Man geht davon aus, dass der Blitzimpuls von der Wolke in einem vorionisierten Kanal besser und gerichteter zur Erde bzw. zur Fangeinrichtung gelangen wird. Zur Vorionisierung wurden in den 50-er und 60-er Jahren radioaktive Materialien verwendet. In Deutschland ist die Verwendung von radioaktivem Material zur Vorionisation der Luft verboten. Die neueren ESE-Systeme nutzen zur Vorionisation der Luft z.B. durch Wind angetriebene Oszillatoren bzw. Lasertechnologie. Kritisch ist die Ableitung zu erwähnen. Da von diesen ESE-Systemen meist nur eine einzige Ableitung zum Erdungssystem erfolgt, sind unbedingt die Trennungsabstände zu beachten und eine Potenzialsteuerung beim Übergang zum Erdungssystem ist durchzuführen. Durch verbesserte Ableitungen mit einer Ableitfähigkeit von bis zu 200 kA (Impuls 10/350 μs, z.B. hochspannungsfeste isolierte Leiter) kann dieses Problem bereits gelöst werden. Ebenso sind die Verbindungsteile, die die Ableitung mit dem Erdungssystem verbinden, mit 200 kA (Impuls 10/350 μs) geprüft und zugelassen.

CVM-Modell

Das CVM-Modell (System 3000) beruht auf drei wichtigen neuen Aspekten:

  1. einer neu entwickelten Fangeinrichtung, die aus einer Fangstange und einer von dieser Fangstange gleichstrommäßig getrennten Halbkugel besteht (Dynasphere)
  2. einem Ableitkabel mit einer Ableitfähigkeit von bis zu 200 kA (Impuls 10/350 μs)
  3. einem Rechnerprogramm, das das Schutzvolumen nach physikalischen Vorgaben berechnet

Diese Fangeinrichtung wird erst aktiv, wenn sich ein Gewitter nähert, und sendet durch die Entladung der Halbkugel (kapazitive Aufladung) über die Fangspitze in Richtung des ankommenden Blitzimpulses eine Fangladung aus. Durch das bis 200 kA (Impuls 10/350 µs) feste Ableitkabel ist es möglich, mit nur einer Ableitung den Blitzstrom in das Erdungssystem zu führen. Das Ableitkabel realisiert durch seinen speziellen Aufbau einen Trennungsabstand „s” von bis zu 4,5 m und dämpft die elektromagnetische Komponente. Dadurch ist es möglich, dieses Kabel auch in Steigeschächten mit anderen elektrischen Leitungen zu verlegen. Der Aufwand für den zu installierenden Überspannungsschutz (DIN EN 62305-4) wird dadurch überschaubarer.

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  • Autor:

    Lic. jur./Wiss. Dok. Ernst Schneider

    Inhaber eines Fachredaktionsbüros

    Ernst Schneider

    Ernst Schneider ist Mitglied in der Sektorgruppe Elektrotechnik (ANP-SGE) und in der Themengruppe Produktkonformität (ANP-TGP) des Ausschusses Normenpraxis im DIN e.V.

    Er veröffentlichte bereits eine Vielzahl von Büchern, Fachzeitschriften und elektronischen Informationsdiensten. Seit 2004 ist er außerdem Unternehmensberater für technologieorientierte Unternehmen.

  • Autor:

    Dipl.-Ing. Helmut Zitzmann

    selbständiger Berater für Blitz- und Überspannungsschutz

    Zitzmann, Helmut

    Helmut Zitzmann ist seit 1988 auf dem Gebiet Blitz- und Überspannungsschutz tätig. Seit 13 Jahren ist er selbständiger Berater und technischer Geschäftsführer bei der Firma Meteovertrieb Deutschland.

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