Leadership 4.0: Verändert Digitalisierung das Führungsverhalten?

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Was bedeutet Digitalisierung für die Unternehmen und wie wirkt sie sich aus?
Was bedeutet Digitalisierung für die Unternehmen und wie wirkt sie sich aus? (Bildquelle: Kalawin/iStock/Getty Images Plus)

Führung findet mit Menschen statt

Seit einigen Jahren ist viel darüber zu hören und zu lesen, was Digitalisierung für die Unternehmen bedeutet und wie sie sich auswirkt. Es ist viel von Prozessautomatisierung und Optimierung, von Rationalisierung und generell von Veränderung die Rede. Mittlerweile gehen die Diskussionen bereits so weit, dass künstliche Intelligenz als zukünftiges Ergebnis der digitalen Entwicklungen betrachtet wird. Und um vor keinem Bereich eines Unternehmens haltzumachen, wird auch die Führung im Unternehmen dem Thema Digitalisierung zugeordnet und als Leadership 4.0 bezeichnet.

Aber ist das richtig? Verändert die Digitalisierung die Führung in den Unternehmen und verändern die bisherigen Führungskräfte ihr Führungsverhalten? Führen sie nun ohne Präsenz oder sind sie als klassische Führungskräfte überhaupt nicht mehr existent? Dieser mögliche Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Führung soll hier näher betrachtet und mit Beobachtungen über die Realität der Digitalisierung und der Führung in den Unternehmen gespiegelt werden. Wie weit ist es mit der Digitalisierung und der Strahlkraft auf das Führungsverhalten in Unternehmen?

Wir gingen beim Thema Führung stets davon aus, dass es sich um die Art des Umgangs der Führungskraft mit ihren Mitarbeitern handelt. Die Führungskraft motiviert ihre Mitarbeiter, gibt ihnen Ziele vor und achtet auf einen hohen Respekt. Je nach Führungsstil spielt der Mitarbeiter dabei eine mehr oder weniger mitgestaltende Rolle. In neuen Modellen weichen alte Prinzipien hierarchischen Verhaltens und Unterordnens verstärkt auf. Es bleibt aber die zentrale Erkenntnis: Führen findet mit Menschen statt. Führung wird nicht durch Digitalisierung ersetzt. Oder doch?

Digitalisierung trifft auf Führung

Wenn man sich ein Bild von der Digitalisierung als Quelle eines „Leadership 4.0“ machen möchte, ist die Digitalisierung etwas genauer zu beschreiben. Vieles wurde dazu in den letzten Jahren unter dem Begriff „Industrie 4.0“ in den Unternehmen diskutiert, umgesetzt und standardisiert. Der Reifegrad der Digitalisierung ist aber von Unternehmen zu Unternehmen (und auch in jeder anderen Form einer betrieblichen Organisation – Verwaltung, Hochschulen, Institute) extrem unterschiedlich. Es gibt in Deutschland bei Weitem keinen einheitlichen Reifegrad der Digitalisierung, und es kann deshalb auch nicht von einem weitverbreiteten neuen Führungsparadigma ausgegangen werden.

Auswirkungen der Digitalisierung
Auswirkungen der Digitalisierung

Noch ein weiterer Schluss zur Bewertung eines „Leadership-4.0-Führungsparadigmas“ wird möglich: Weder die Führungsstile noch die Reifegrade der Digitalisierung sind in den Unternehmen auf einem vergleichbaren Niveau. Wir finden tatsächlich die unterschiedlichsten Beispiele von autoritär geführten Unternehmen mit einem kaum messbaren Reifegrad der Digitalisierung bis hin zu teamorientiert geführten Unternehmen mit einer hohen Durchdringung von den Elementen der Digitalisierung.

Der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Leadership 4.0
Der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Leadership 4.0

Die Bedeutung des Führungsparadigmas Leadership 4.0 steigt mit dem Reifegrad der Digitalisierung. Davon dürfen wir ausgehen. Das sagt aber noch nichts über die Ausgestaltung von Leadership 4.0. Was bedeutet eigentlich Digitalisierung für die Führung der Mitarbeiter in einem Unternehmen, und welche Elemente der Digitalisierung wirken sich in welcher Weise aus? Daraus resultiert auch die nächste wichtige Frage: Ist das Führungsparadigma Leadership 4.0 eigentlich ein Vorteil oder eher sogar ein Nachteil, ist es also ein Entwicklungsschritt oder ein paralleler Pfad eines Führungsstils? Und natürlich die alles bewegende Frage, wie Leadership 4.0 gestaltet sein muss, um für die Unternehmen eine vorteilhafte Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Veränderungen in der Führungsarbeit durch die Digitalisierung

Ein einheitliches Bild über Digitalisierung und Leadership 4.0 können wir ausschließen, das zeigen die bisherigen Beschreibungen deutlich. Wenn wir uns jedoch auf ein gemeinsames Durchschnittsbild für einen mittleren Reifegrad an Digitalisierung und den Einfluss auf Leadership verständigen wollen, dann können wir davon ausgehend gut nachvollziehen, was das für Führungsarbeit bedeuten wird. Dabei lassen wir die Betrachtung diverser Führungsstile ebenfalls außer Betracht, sondern verständigen uns auf eine moderne Führungsarbeit, in der Mitarbeiter eingebunden werden, bei der aber durch die Führungskraft noch die Vorgaben und die Kontrolle erfolgen. Damit lässt sich ein großer Teil des deutschen Mittelstands sicherlich gut beschreiben.

Veränderungen mit Relevanz für die Führungsarbeit
Veränderungen mit Relevanz für die Führungsarbeit

Das Bild von Leadership 4.0 wird deutlich klarer, wenn wir uns ein paar der Faktoren näher betrachten, die durch Digitalisierung beeinflusst werden und die gleichzeitig zu den Kernaufgaben von Führungskräften gehören. Eine Auflistung wie in der letzten Abbildung kann kaum vollständig sein, ist aber gut geeignet für eine Annäherung an das Thema.

  1. Die Transparenz von Informationen und Entscheidungen wird durch Elemente der Digitalisierung deutlich erhöht. Es ist sehr viel besser möglich, Mitarbeitern Informationen zeitnah und umfassend zur Verfügung zu stellen. Ebenso können die Führungskräfte sehr viel besser nachvollziehen, wie und warum sich Prozesse entwickelt haben und woher z.B. Störungen gekommen sind. Für Führungskräfte ist das eine Verbesserung ihrer Arbeitssituation, weil sie schneller und verlässlicher Entscheidungen treffen und dafür weniger Zeit benötigen. Sie können ihre Mitarbeiter besser einbinden, weil die Informationen beispielsweise über ein digitales Werker-Informations-System schnell und für alle zur Verfügung stehen.
  2. Die Geschwindigkeit von Datenübertragungen und -auswertungen erfährt eine bisher nicht bekannte Beschleunigung bei gleichzeitiger guter Qualität. Damit können Führungskräfte Entscheidungen herbeiführen, die sich sofort auf die Prozesse auswirken. Und das, obwohl die Störung oder das Qualitätsproblem erst vor wenigen Minuten aufgetaucht ist. In vielen Unternehmen ist es heute noch Standard, Datenauswertungen im Zuge des sogenannten „Nachtlaufs“ stattfinden zu lassen. Das heißt, dass modifizierte Daten aufgrund neuer Kundenaufträge oder Maschinenausfälle 24 Stunden später zur Verfügung stehen. Bei hohem digitalem Reifegrad findet eine modifizierte Auswertung bereits wenige Augenblicke nach dem Ereignis statt. Die Führungskraft kann personelle Ressourcen sehr schnell anpassen, kann Kapazitäten dazu buchen oder abbestellen, je nach Erfordernis.
  3. Die Datenverfügbarkeit in Echtzeit ist eine bemerkenswerte Weiterentwicklung für ein digitales Werker-Informations-System. Wenn sich morgens um 8:00 Uhr die Mitarbeiter der Abteilung versammeln, um die Ressourcenverteilung oder die Routenzüge für den Tag zu planen, dann tun sie das auf Basis von Daten, die in Echtzeit vorliegen. Der Abarbeitungszustand des Eilauftrags für den Hauptkunden kann am Informationsboard bewertet werden, und die Daten sind aussagekräftig. In Echtzeit verfügbare Daten helfen der Führungskraft, schnelle und zielgerichtete Entscheidungen zu treffen. Es ist auch kein Zusammentragen und Herausfiltern von aktuellen Daten mehr nötig, was oft mit großem Zeitaufwand verbunden war. Die Führungskraft lief oft noch von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz, um Echtzeitdaten persönlich abzufragen. Diese stellt das System nun automatisch zur Verfügung.
  4. Die Bearbeitung und Übertragung von sehr großen Datenmengen sind in Unternehmen mit einem hohen digitalen Reifegrad gut möglich. Das bezieht sich neben den Softwarelösungen auch auf die ausgewählte Hardware. Heute scheitert die Auswertung von Daten noch vielfach an Rechenkapazitäten. Das ist in Zukunft kein Hindernis mehr, wenn sich die Hardware mit den Möglichkeiten der Software entwickelt. Unternehmen der Zukunft werden nicht nur über leistungsstarke Rechner, sondern auch über eigene Rechenzentren mit Kapazität, Rechnergeschwindigkeit und natürlich auch Datenabsicherung verfügen. Die Führungskräfte sind in ihren Auswertemöglichkeiten nicht mehr limitiert. Sie können zu jeder Zeit und an jedem Ort die notwendigen Berechnungen für ihre Zuständigkeitsbereiche durchführen und ihren Mitarbeitern Informationen zur Verfügung stellen. Die Mitarbeiter können mit diesen Möglichkeiten natürlich auch selbst Informationen abrufen, um Entscheidungen schnell und zuverlässig vor Ort zu treffen.
  5. Eine deutliche höhere Genauigkeit von Berechnungen und Auswertungen erhöht die Zuverlässigkeit von Entscheidungen. Wenn die Datenqualität den Grad an Genauigkeit erreicht hat, wie er für die Möglichkeiten der Digitalisierung vorauszusetzen ist, dann können Auftragsreihenfolgen und Kapazitätsbedarfe mit hoher Präzision berechnet werden. Für die aktuellen Aufträge werden exakte Berechnungen möglich, wann welche Ressourcen für welchen Auftrag an welcher Stelle zur Verfügung stehen sollen. Die Führungskräfte gewinnen viel Zeit, da sie deutlich weniger manuelle Berechnungen und Auswertungen durchführen müssen. Noch dazu sind die digitalen Auswerteberechnungen schneller und präziser als klassische Berechnungsarten. In der Vergangenheit mussten die Bearbeiter – in der Regel waren das die Führungskräfte – Daten manuell in Tabellen übertragen oder anderswo einfügen. Zukünftig entfallen so neben dem Zeitaufwand auch gravierende menschliche Fehlerquellen.
  6. Mit der Digitalisierung gibt es neue Möglichkeiten der Planung und der Vorausschau. Ausgeklügelte Algorithmen sind in der Lage, treffsichere Prognosen auszurechnen. Wo bislang Vermutungen, Schätzungen und Hochrechnungen die zukünftigen Entwicklungen aufzeigen sollten, sind genauere Berechnungen unter Einbeziehung komplexer Sachverhalte möglich. Die Zukunft kann sehr viel präziser vorhergesagt werden. Die Führungskräfte sind dann endlich in der Lage, die genaue Mitarbeiterzahl für die nächste zeitliche Periode zu planen und notwendige Investitionen zuverlässig in die entsprechenden Planungen einzuarbeiten. Die Zukunft wird für die Führungskräfte ein ganzes Stück transparenter und ihre tägliche Arbeit dadurch einfacher.

Führungsarbeit kann durch die Digitalisierung revolutioniert werden. Diese Aussage ist keineswegs übertrieben und sollte als großartige Zukunftschance betrachtet werden. Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung haben Führungskräfte völlig neue Optionen, um ihre Führungsarbeit zu gestalten, und sie gewinnen Zeit, um sich der Führung der Mitarbeiter zu widmen.

So gesehen ist Leadership 4.0 tatsächlich eine Revolution für die Führung und in der Tat ein neues Führungsparadigma. Aber Leadership 4.0 ist etwas anderes als ein neuer Führungsstil. Haben wir aus der Vergangenheit heraus gelernt, dass neue Führungsstile in der Regel an dem Grad der Einbindung der Mitarbeiter und dem respektvollen Miteinander ansetzten, so ist Leadership 4.0 auf einer anderen Ebene zu betrachten. Mit der Digitalisierung werden den Führungskräften Instrumente zur Verfügung gestellt, wie sie ihre eigene Führungsarbeit komplett neu gestalten können. Sie können viel Zeit für die Betreuung der Mitarbeiter gewinnen, oder sie können gleichzeitig die Qualität der Berechnungen, Prognosen und Auswertungen steigern.

Hört sich doch gut an. Aber merken Sie was? Leadership 4.0 ist kein Selbstläufer. Die gesamten letzten Ausführungen mit den digitalen Möglichkeiten und den Auswirkungen auf Führung setzten zweierlei voraus:

  • Führungskräfte, die das auch können
  • Mitarbeiter, die das auch wollen

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  • Autor:

    Holger Möhwald

    Trainer, Moderator, Unternehmensberater und Autor

    Holger Möhwald

    Holger Möhwald ist seit 1996 selbständig als Trainer, Moderator, Unternehmensberater und Autor. Er begleitet Unternehmen in der Organisations- und Personalentwicklung. Ein besonderer Schwerpunkt ist dabei die Entwicklung von Führungskräften. Dazu hat er eine Vielzahl an Aufsätzen und Büchern verfasst.

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