Stromschlag an Kassensystem

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Wenn ein Kassenterminal Stromschläge austeilt...
Wenn ein Kassenterminal Stromschläge austeilt... (Bildquelle: cookie_cutter/iStock/Thinkstock)

Frage aus der Praxis

Wir wurden zu einem Kunden gerufen, um ein neu installiertes Kassenterminal zu überprüfen. Die dortige Mitarbeiterin beschwerte sich über wiederholte Stromschläge. Es handelt sich der Kennzeichnung nach um ein Gerät der Schutzklasse II, allerdings mit mehreren berührbaren Metallteilen. Unsere Überprüfung nach DIN VDE 0701-0702 erfüllt alle Grenzwerte (Isolationswiderstand erreicht Messbereichsende, Berührungsstrom 0,2 mA). Wo liegt hier das Problem?

Tipp der Redaktion

Seit Februar 2021 ist die Norm DIN EN 50678 VDE 0701:2021-02 gültig. Sie trägt den Titel „Allgemeines Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen von Elektrogeräten nach der Reparatur“. Im Juni 2021 ist außerdem die Norm DIN EN 50699 VDE 0702:2021-06 mit dem Titel „Wiederholungsprüfung für elektrische Geräte“ erschienen.

Lesen Sie hier mehr zur VDE 0701:2021-02.

Lesen Sie hier mehr zur VDE 0702:2021-06.

Antwort des Experten

Dipl.-Ing. Thorben Gruhl

Wie so oft ist eine abschließende Beurteilung aus der Ferne nicht ohne Weiteres möglich. Dazu genügen die Angaben im Einzelfall häufig nicht, so auch hier. Es lassen sich allerdings einige Überlegungen anstellen, die den Prüfer seinem Ziel näher bringen.
Zunächst einmal lassen sich die meisten Kassensysteme als informationstechnische Geräte einordnen. Hinsichtlich der hier relevanten Parameter wie Isolationswiderstand und Berührungsstrom stellt das angefragte System als Schutzklasse-II-Gerät zunächst keine allzu große Besonderheit dar. Schlägt man die zulässigen Werte in der für diese Produkte einschlägigen DIN VDE 0805 nach, muss man sich allerdings der sprachlichen Feinheiten bewusst sein.

Berührungsstrom ist nicht gleich Berührungsstrom

Die gerätespezifischen Sicherheitsanforderungen unterscheiden begrifflich nicht zwischen Schutzleiterstrom und Berührungsstrom. Vielmehr betrachtet man den Schutzleiterstrom bei Geräten der Schutzklasse I als möglichen Berührungsstrom, der auftritt, wenn eine Unterbrechung des Schutzleiters vorliegt. Der aus den Prüfnormen der 0700-Reihe bekannte „Berührungsstrom“ findet sich hier wieder als Berührungsstrom an leitfähigen Teilen, die nicht mit dem Schutzleiter verbunden sind. Zulässig wäre in diesem Fall für den Berührungsstrom ein Wert von bis 0,25 mA. Dieser Wert aus den produktspezifischen Anforderungen begründet also keine Ausnahme nach oben, es gilt daher für die Wiederholungsprüfung der reguläre Wert von 0,5 mA.

Wechselwirkungen in einem Geräteverbund

Neben der Stromversorgung besitzen Kassensysteme heute oftmals weitere Anschlüsse in Form von Datenverbindungen für bargeldloses Bezahlen oder Anbindung an Warenwirtschaftssysteme wie auch Nebengeräte, hier beispielsweise Barcodescanner oder RFID-Leser. In diesem Geräteverbund können unter Umständen Wechselwirkungen auftreten. Ein an einem Gerät beobachteter Effekt muss seine Ursache nicht in selbigem haben. Bei einer Überprüfung als Einzelgerät in der Werkstatt werden folglich keinerlei Defekte festgestellt.

Eignung der Messverfahren

Besonders bedeutsam, gerade bei Messungen in einem Verbund, ist die Wahl der richtigen Messverfahren. Insbesondere die Ermittlung der Ableitströme – sowohl des Schutzleiterstroms wie auch des Berührungsstroms – kann erheblich vom Messverfahren abhängen. Zur Auswahl stehen prinzipiell drei Ansätze:

  • Ersatzableitstrom-Messverfahren
  • direkte Messung
  • Differenzstrom-Messverfahren

Ersatzableitstrom-Messverfahren ungeeignet

Gerade das Ersatzableitstrom-Messverfahren ist für Messungen dieser Art weitestgehend untauglich. Bei diesem werden Außen- und Neutralleiter an den gleichen Pol einer Prüfspannung angelegt, der andere Pol mit dem Schutzleiter beziehungsweise der Abtastsonde verbunden. Da Außen- und Neutralleiter auf dem gleichen Potenzial liegen, ist bei diesem Verfahren keine Betriebsspannung für den Prüfling gegeben. Informationstechnische Systeme verfügen nun aber zumeist über Schaltnetzteile. Ohne adäquate Betriebsspannung schalten die Halbleiterelemente gar nicht erst die Messspannung auf den Hochfrequenzübertrager durch. So bleiben bei ungünstigem Schaltungsdesign nennenswerte Teile der Primärseite wie auch die Trennung zur Sekundärseite ungeprüft.

Unvollständige Prüfung: Sobald elektrische oder elektronische Schaltelemente ins Spiel kommen, ist das Ersatzableitstrom-Messverfahren – technisch wie auch nach Wortlaut der Norm – ungeeignet!
Abb. 1: Unvollständige Prüfung: Sobald elektrische oder elektronische Schaltelemente ins Spiel kommen, ist das Ersatzableitstrom-Messverfahren – technisch wie auch nach Wortlaut der Norm – ungeeignet!

Ein weiteres Manko des Ersatzableitstrom-Messverfahrens ist die Verfälschung des Messwerts durch symmetrische Entstörbeschaltungen. Sowohl gegen L wie auch gegen N geschaltete Impedanzen – seien es nun gewünschte Filterkondensatoren oder aber auch Leckströme aufgrund von Verschmutzungen – werden mit der vollen Messspannung beaufschlagt und generieren so einen Ableitstrom. Im realen Betrieb wäre hingegen die Hälfte dieser mit dem Neutralleiterpotenzial beaufschlagt und würde mangels treibender Spannung nahezu keinen Beitrag zum auftretenden Strom leisten. Aus diesem Umstand können bei Messungen mit dem Ersatzableitstrom-Messverfahren verdoppelte Messwerte resultieren. Nur lässt sich für den Prüfer von außen schlecht einschätzen, ob die moderate Grenzwertüberschreitung aus einer Verdoppelung resultiert, die im Normalbetrieb nicht auftritt, oder doch eine einzelne Kriechstrecke allein schon 0,6 mA führt.

Erhöhte Messwerte beim Ersatzableitstrom-Messverfahren
Abb. 2: Erhöhte Messwerte beim Ersatzableitstrom-Messverfahren

Direkte Messung – exakt, sofern ohne Parallelverbindung

Die direkte Messung eignet sich insbesondere zur Messung des Berührungsstroms. Sie liefert aber nur dann brauchbare Ergebnisse, wenn außer über die Prüfsonde (oder den durch das Messgerät führenden Schutzleiter) keinerlei weitere Verbindung zur Erde besteht. Diese kann auch durch die Schirme von Datenverbindungen gegeben sein. Im Zweifelsfall muss zunächst messtechnisch geklärt werden, ob das berührbare Teil noch eine Verbindung zur Erde bzw. Schutzleiter besitzt (Isolationsmessung). Vorteilhaft an diesem Verfahren ist seine hohe Empfindlichkeit, mit dem auch recht kleine Berührungsströme noch mit vergleichsweise großer Genauigkeit erfasst werden.

Messung der Ableitströme mit Netzspannung: Mithilfe der verfügbaren Betriebsspannung kann der gesamte Prüfling in allen Betriebszuständen untersucht werden. Wichtig ist jedoch das Umpolen der Betriebsspannung!
Abb. 3: Messung der Ableitströme mit Netzspannung: Mithilfe der verfügbaren Betriebsspannung kann der gesamte Prüfling in allen Betriebszuständen untersucht werden. Wichtig ist jedoch das Umpolen der Betriebsspannung!

Differenzstrom-Messverfahren – insbesondere für den Schutzleiterstrom

Insbesondere für den Schutzleiterstrom hat sich das Differenzstrom-Messverfahren als Optimum erwiesen. Da der gemessene Wert aus der Differenz von Außen- und Neutralleiterstrom in der Anschlussleitung ermittelt wird, führen auch anderweitig zur Erde abgeführte Ströme nicht zu einer Verfälschung. Dieser Aspekt macht das Verfahren auch für Messungen in einem Geräteverbund zur ersten Wahl, wenn weitere Erdverbindungen über untereinander verbundene Geräte nicht ausgeschlossen werden können. Allerdings setzt die indirekte Ermittlung aus dem Differenzstrom der Genauigkeit Grenzen. Insbesondere bei Werten für den Berührungsstrom unter 1 mA nähert man sich der Grenze der technischen Möglichkeiten.

Spannungsverschleppung über Datenleitungen

In der Praxis zeigt sich oftmals, dass mit der Erdung der Schirme von Datenleitungen geschludert wird. Ob und wie eine Verbindung zum Schutzpotenzialausgleich besteht, ist häufig dem Zufall überlassen. Angeschlossene Geräte der Schutzklasse I können so über ihre Gehäuse eine Erdung für die Schirme des Datennetzes herstellen. Dieser Umstand kann aber im Fall einer Schutzleiterunterbrechung zum Problem werden.

Verschleppung auf fremde Geräte: In einem Geräteverbund muss der Fehler nicht immer im auffälligen Gerät liegen
Abb. 4: Verschleppung auf fremde Geräte: In einem Geräteverbund muss der Fehler nicht immer im auffälligen Gerät liegen

Ein typischer Computer verfügt in seinem Schaltnetzteil über Entstörkondensatoren, um der elektromagnetischen Verträglichkeit gerecht zu werden. Da die Belegung von Außen- und Neutralleiter in der Anschlussleitung nicht vorhersehbar ist, werden die Kondensatoren von beiden aktiven Leitern gegen den Schutzleiter geschaltet. Fällt die Schutzleiterverbindung aus, bilden besagte Kondensatoren einen kapazitiven Spannungsteiler zwischen Außen- und Neuralleiter. Das Gehäuse des Rechners hängt mit dem Rest des abgetrennten Schutzleitersegments am Mittelabgriff des Teilers. Dabei treten Spannungen von ca. 115 V gegenüber dem Erdpotenzial auf. Durch die limitierte Größe der dafür zulässigen Y-Kondensatoren bricht die Spannung bei einem Berühren zwar deutlich ein und stellt keine unmittelbare Gefahr dar, kann aber noch für unangenehme Empfindungen beim Berühren ausreichen. Bestehen geschirmte Verbindungen zu weiteren Geräten, kann sich die Spannung auch auf dortige ungeerdete Gehäuse dieser Geräte übertragen. Ein klassisches Beispiel wären hier Laptops mit Leichtmetallgehäuse, versorgt über externe Netzteile der Schutzklasse II.

Biologische Faktoren

Nicht immer muss ein empfundener Stromschlag auf einen technischen Defekt zurückzuführen sein. Im Allgemeinen gelten Ströme unter 0,5 mA als nicht wahrnehmbar.
Diese Angabe bezieht sich jedoch auf ein Berühren mit den Fingern unter normalen Randbedingungen. Für eine Durchströmung der Zunge finden sich in der Literatur hingegen deutlich niedrigere Wahrnehmungsschwellen im Bereich von etwa 4 μA. Geht das Berühren mit nassen Händen einher oder erfolgt mit empfindlicheren Hautpartien als den Fingerkuppen, kann eine Wahrnehmung auch schon bei kleineren Berührungsströmen möglich sein. Die vom Fragesteller gemessenen 200 μA lassen diese Option nicht ganz unrealistisch erscheinen.

Defektes Messgerät

Deutlich unwahrscheinlicher, aber ebenfalls nicht auszuschließen, ist ein schlichter Defekt im Messgerät. Gerade bei der Messung des Berührungsstroms, der fast immer nahezu null beträgt, fällt ein Defekt des Messwerks lange nicht auf. Schließlich erwartet der Prüfer an intakten Geräten nirgends erhöhte Messwerte als Ergebnis, für ihn ist auch bei fälschlich geringen Werten zunächst alles in Ordnung.

Um sich bei Auftreten von derlei Unklarheiten über die Funktion des Prüfgeräts zu vergewissern, empfiehlt es sich, Kalibriernormale vorzuhalten. Hochpräzise Ausführungen für eine anerkannte Kalibrierung und Justage sind dabei mit einem recht großen finanziellen Aufwand verbunden. Zur einfachen Selbstkontrolle zwischen einzelnen Kalibrierungen genügen hingegen zumeist einfache Selbstbauvarianten. Auf Jahre gesehen, können sich durch Alterungsvorgänge ihre Kennwerte verbauter Widerstände oder Kondensatoren allerdings ändern. Daher ist eine exakte Kalibrierung damit im Allgemeinen nicht möglich und hätte auch keine Rechtssicherheit.
Jedoch zeigen auftretende Defekte im Prüfgerät meist ein sprunghaftes Verhalten im ausgegebenen Messwert zwischen zwei Kontrollmessungen am improvisierten Kalibriernormal. Die beschriebene eigene Zwischenprüfung der eingesetzten Messgeräte ist sehr zu empfehlen. In welchem Intervall diese Zwischenprüfung geschehen soll, muss die befähigte Person selbst entscheiden.

Vorgehen zur Abklärung

Zunächst einmal sei dem Fragesteller nahegelegt, den ermittelten Wert für den Berührungsstrom zu verifizieren. Dazu gehören insbesondere die Wahl des Messverfahrens sowie die Beachtung weiterer Verbindungen. Zusätzlich sollten die Schirme externer Verbindungen nach dem Ausstecken aus dem Terminal auf gegebenenfalls anliegende Spannungen untersucht werden.

Zusätzlich wäre zu überprüfen, wann das Messgerät zuletzt kalibriert wurde beziehungsweise, ob es noch korrekt arbeitet. Neben dem Vergleich an Normalen mit bekannten Ableitströmen kann natürlich auch ein weiteres Prüfgerät hinzugezogen werden, um den erhaltenen Wert aus einer zweiten Quelle zu bestätigen.
Sollten dabei keine unzulässig hohen Ableitströme oder Spannungsverschleppungen festgestellt werden, kann zumindest eine Gefährdung der Mitarbeiter ausgeschlossen werden. Bestehen weiterhin Probleme mit dem Empfinden des Bedienpersonals, lässt sich unter Umständen durch eine verbesserte Isolation des Standorts der Person der auftretende Strom reduzieren. Natürlich kann auch ein Austausch auf Kulanzbasis angestrebt werden.

Vorsicht ist hingegen bei baulichen Veränderungen geboten. Das Anbringen isolierender Abdeckungen ist dabei im Allgemeinen unkritisch, verhindert es doch nur ein Erreichen der fraglichen leitfähigen Teile. Je nach Situation lassen sich aber auch Erdungsverbindungen nachrüsten. Mit dieser Bauartveränderung hin zur Schutzklasse I greift der ausführende Elektriker dann jedoch erheblich in das Sicherheitskonzept des Geräts ein! Für diese Bauartveränderung muss er im Zweifelsfall auch die Verantwortung übernehmen. Ebenso ist damit die CE-Konformitätserklärung hinfällig und muss seitens des Ausführenden erneuert werden. Dieses Vorgehen ist ohne ausdrückliche Freigabe des Herstellers in aller Regel nicht zu empfehlen!

Beitrag aus dem Jahr 2015, wurde geprüft und aktualisiert am 22.06.2020

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