Fahrlässige Tötung: Auszubildender vor Gericht

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Sicherheitsregeln gelten unabhängig davon, was die Kollegen machen!
Sicherheitsregeln gelten unabhängig davon, was die Kollegen machen! (Bildquelle: kadmy/iStock/Getty Images)

Ein Arbeitsunfall tut nicht nur weh. Je nach Schwere des Unfalls kann es sein, dass du nur noch eingeschränkt weiterarbeiten kannst oder eventuell sogar für einige Tage oder Wochen ganz ausfällst. Das sind die körperlichen Folgen eines Arbeitsunfalls. Doch auch deine Psyche kann unter einem Arbeitsunfall leiden. Besonders schwer zu ertragen ist es, wenn eine Person durch deinen Fehler verletzt wird. Am schlimmsten ist es wohl, wenn man durch eigenes Fehlverhalten am Tod eines anderen Menschen beteiligt ist. In diese Extremsituation geriet ein Azubi, der im Juni 2019 wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht stand.

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Was ist passiert?

Was ist passiert?

Es war ein ganz normaler Arbeitstag in einem Transport- und Logistikunternehmen in Bochum. Morgens um sieben Uhr transportiert der Azubi Paletten mit einem Gabelstapler. Ein älterer Kollege läuft an einer Mauer vorbei, dabei gerät er unerwarteterweise in den Fahrweg des Staplers. Der Staplerfahrer hört zwar ein kurzes Rufen, kann aber nicht mehr ausweichen. Der 63-jährige Kollege wird angefahren und schwer verletzt. Mit einem Rettungshubschrauber wird der Mann in eine Universitätsklinik gebracht.

Leider kam es in Folge des Unfalls zu Komplikationen und der Mann verstarb einige Monate später.

Was ist hier schiefgelaufen?

Was ist hier schiefgelaufen?

Bei einem so schweren Unfall ermittelt nicht nur die Polizei. Auch die zuständige Behörde, die Gewerbeaufsicht oder das Amt für Arbeitsschutz wird in so einem Fall eingeschaltet. Natürlich kann man aus der Ferne einen solchen Arbeitsunfall nur schwer beurteilen. Doch nach allen Erkenntnissen aus den Ermittlungen und der Gerichtsverhandlung sind dem Azubi zwei schwerwiegende Fehler vorzuwerfen.

  1. Der Auszubildende transportierte 30 Europaletten auf einmal. Der Gabelstapler war also eindeutig überladen. Das hätte er eigentlich wissen müssen oder auch in der Betriebsanleitung des Staplers nachlesen können.
  2. Der Azubi transportierte 15 der Paletten auf der Gabel seines Fahrzeugs. Die andere Hälfte schob er vor sich her, wodurch er keine freie Sicht mehr nach vorn hatte. Er konnte also weder seinen Fahrweg einsehen, noch querende Fußgänger oder andere Hindernisse erkennen.

So machst du es besser!

So machst du es besser

Sicherheitsregeln gelten unabhängig davon, was die Kollegen machen!

Während seiner Ausbildung zum Staplerfahrer – dem Erwerben des Staplerscheins – hatte der Azubi gelernt, dass er mit dem Gabelstapler rückwärtsfahren muss, wenn er nach vorne keine freie Sicht hat. Tragischerweise missachtete er diese Sicherheitsvorschrift am Unfalltag. Laut Aussage des Azubis war dieses Vorgehen in seinem Betrieb auch bei den Kollegen normal. Das entlastet ihn aber nicht von seiner eigenen Verantwortung, auch wenn er sich seine Arbeitspraxis wohl bei den Kollegen abgeschaut hatte.

Um ähnliche Situationen zu vermeiden, sollte dir Folgendes stets bewusst sein: Auch wenn deine Kollegen Sicherheitsvorschriften missachten, und Vorgesetzte und die Betriebsleitung das tolerieren, heißt das nicht, dass du das einfach nachmachen darfst.

Es ist sicher nicht einfach, sich nicht zu leichtfertigem Handeln verleiten zu lassen, gerade wenn die Kollegen sich selbst nicht an die Sicherheitsvorgaben halten. Doch diese Schutzmaßnahmen gibt es, um dich und deine Kollegen zu schützen. Wenn das Einhalten der Regeln in deinem Ausbildungsbetrieb nicht selbstverständlich ist oder du eventuell sogar aufgefordert wirst, Dinge „nicht so genau“ zu nehmen, kannst du dich im Zweifel an deinen Vorgesetzten, die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder eine Vertrauensperson wenden.

Achtung Routinefalle – Rechne stets mit unerwarteten Ereignissen!

Ein anderer wichtiger Punkt, der an diesem Beispiel deutlich wird, ist: Berücksichtige bei denen Tätigkeiten stets auch unerwartete Situationen.

Im Betrieb des angeklagten Azubis ist normalerweise zu dieser Zeit an diesem Ort kein Fußgänger unterwegs. Der Auszubildende rechnete also nicht damit, dass sein Kollege dort zum Zeitpunkt des Unfalls entlang gehen würde. Doch dass dort normalerweise kein Fußgänger ist, hätte für ihn kein Grund sein dürfen, eine Vorschrift zu missachten. Oft passieren Arbeitsunfälle genau dann und dort, wo niemand damit rechnet.

Es ist ganz normal, im Lauf der Zeit Routinen zu entwickeln, um sich das Arbeiten zu erleichtern. Jeder neigt dazu. Aber trotzdem: Durch Routinen dürfen Sicherheitsregeln niemals vernachlässigt werden. Gerade wenn in einer bestimmten Arbeitssituation schon viele Male gut gegangen ist, ist es nur eine Frage der Statistik – und damit eine Frage der Zeit – bis irgendetwas irgendwann in genau dieser Situation anders läuft. Und dann verletzt sich „plötzlich“ jemand, ein Feuer bricht aus, es tritt ein Störfall ein oder es passiert sonst etwas, mit dem keiner gerechnet hatte.

Verlasse dich in kritischen Situationen oder in Momenten, in denen dir ein Vorgehen unsicher erscheint, niemals auf naive Sprüche wie „Keine Angst, das ist bis jetzt immer gut gegangen!“.

Belastendes Ereignis bei der Arbeit? Nimm Hilfe in Anspruch

Der Angeklagte wollte sich als Azubi nicht gegen seine Vorgesetzten stellen. Das berücksichtigte das Gericht bei seiner Entscheidung zwar, wertete es aber nicht als volle Entlastung. Denn durch die Ausbildung zum Staplerfahrer hätte der Auszubildende wissen müssen, dass er in einer solchen Situation rückwärtsfahren muss. Der Angeklagte kam mit einer Geldstrafe davon. Schlimmer dürfte für ihn sein, dass der Unfall und dessen tragische Folgen ihn bis an sein Lebensende begleiten werden. Deshalb begab der Azubi sich schon vor dem Gerichtstermin in psychologische Behandlung.

Falls es in deinem Betrieb zu einem Unfall kommt, der dich innerlich mitnimmt, solltest auch du das tun. Egal, ob du eine Mitschuld hast oder einfach nur Augenzeuge warst – eine Betreuung und Begleitung durch einen Psychologen oder Therapeuten kann dir dabei helfen, das Erlebte ohne bleibende psychische Folgen zu verarbeiten.

  • Autor:

    Dr. Friedhelm Kring

    freier Lektor und Redakteur

    Kring, Friedhelm

    Dr. Friedhelm Kring ist freier Lektor, Redakteur und Fachjournalist mit den Schwerpunkten Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz.

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